Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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Thema: Antisemitismus
Das Feindbild des „jüdischen Wucherers“ Das Christentum ist aus dem Judentum entstanden. Christliche Abgrenzungs- und Selbstfindungsbestrebungen mündeten in antijüdischen Ressentiments. Weitreichende Folgen hatten diese antijüdischen Feindbilder, als das Christentum unter Kaiser Konstantin (324 – 337) zur Staatsreligion wurde. Fortan wurden antijüdische Gesetze mit dem Ziel erlassen, Juden zu dämonisieren und zu isolieren. Erste jüdische Gemeinden entstanden im Deutschen Reich im 10. Jahrhundert entlang des Rheins und der Donau. Zunächst waren Juden überwiegend als Fernhändler, Bauern und Handwerker tätig, wurden aber in den Kleinhandel und die Pfandleihe abgedrängt. Während des ersten Kreuzzugs 1096 kam es in den Städten am Rhein und in Regensburg zu bis dahin in solchem Maße unbekannter Gewalt gegen Juden, in deren Folge Tausende ermordet wurden. Die rechtliche Stellung von Juden war sehr vom Schutz weltlicher und kirchlicher Machthaber abhängig, die sich den gewährten Schutz oft teuer bezahlen ließen (Schutzbriefe). Zwei Beschlüsse prägten maßgeblich die Berufsausübung von Juden. Das war zum einen der 1179 gefasste Beschluss des 3. Laterankonzils (Treffen hochrangiger Vertreter der katholischen Kirche), Christen das Geldverleihen gegen Zinsen zu verbieten. Zum anderen nahmen die christlichen Zünfte keine Juden auf, so dass der Zugang zum Handwerk verwehrt war, genau wie der Erwerb von Grundbesitz. „Vom Warenaustausch (mit Ausnahme ländlichen Kleinhandels) und der Produktion aufgrund christlich definierter ständischer und zünftiger Ordnung des Wirtschaftslebens ausgeschlossen, waren Juden auf den Geldhandel beschränkt, …“ (Benz 2001, S.14). Der Ursprung der Kopplung von „Juden“ und „Geld“ knüpfte an die neutestamentliche Geschichte von Judas an, einem der Jünger, der Jesus für dreißig Silberstücke verraten hatte. Die Kritik an dem „Wuchertreiben“ der Juden transportierte zusätzlich Herrschaftskritik, denn die jeweiligen Territorialherren beschützten die geldverleihenden Juden aus zwei Gründen. Erstens musste ein Teil des Gewinns an sie abgeführt werden, zweitens nahmen sie oft selbst Kredite auf. Das Zinsnehmen galt für Christen bis zum Hochmittelalter als unsittlich und wurde in dem Katalog der sieben Todsünden aufgeführt. Auch das „unangemessene“ Aufschlagen einer Gewinnspanne durch Zwischenhändler, die nach gängiger Auffassung nicht durch eigenes Zutun den Zustand der Ware verbesserten, galt als Wucher und damit als Sünde. Im 13. Jahrhundert wandelte sich das Kreditsystem aufgrund veränderter Wirtschaftsformen, und es kam zu einer schleichenden Neubewertung des Zinsgeschäfts. Der Geldverleih war nun auch Christen zugänglich. Die Veränderung bestand zum Beispiel in der Niederlassung von Kaufleuten aus Italien in Nordeuropa, die dort mit Geldhandel den wachsenden Geldbedarf von Grundbesitzern befriedigten. Zwar hielt der Klerus weitgehend an dem Zinsverbot fest, aber die Vorschriften wurden gelockert. Zu den jüdischen Geldleihern kamen meist nur noch diejenigen, die sonst nirgends als kreditwürdig galten und einen hohen Zins zahlen mussten. (Benz 2001, S. 14) Das trug zur Verfestigung des Bildes vom jüdischen Wucherer bei. In den reformierten Kirchen und besonders im Calvinismus verkehrten sich die Moralvorstellungen grundsätzlich. Nicht mehr die Erwirtschaftung von Gewinn galt als verwerflich, sondern das Ausruhen auf Besitz, die Verschwendung von Zeit und mangelnder Ehrgeiz. Obwohl Juden und Nichtjuden in der Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 gesetzlich gleichgestellt wurden, blieben den Juden faktisch weiterhin Laufbahnen als Beamte oder im Militär verwehrt. In vielen Texten und Bildern kamen unverhohlen antisemitische Vorurteile, wie die „natürliche Nähe“ von Juden zum Geldhandel vor. Hämisch schrieb beispielsweise Wilhelm Busch: „Und der Jud’ mit krummer Ferse, krummer Nas’ und krummer Hos’ schlängelt sich zur hohen Börse, tiefverderbt und seelenlos.“ Ein Motiv vieler Karikaturen in der seit 1896 erscheinenden Satirezeitschrift „Simplicissimus“ ist das des „geilen“ jüdischen Unternehmers, der bei ihm beschäftigte „arische“ Frauen durch den Verweis auf das bestehende Abhängigkeitsverhältnis „gefügig“ macht. Später haben einige Wissenschaftler versucht, dem Judentum eine naturgegebene Nähe zum Kapitalismus nachzuweisen. Wie gut die Gleichsetzung Judentum = Kapitalismus funktionierte, belegt eine Schlagzeile des „Völkischen Beobachters“ aus dem Jahr 1923 zur Schuldfrage am Ersten Weltkrieg: „Die Ur-Schuldigen am Weltkriege. Weltjude und Weltbörse“. In verschiedenen Schriften wurde behauptet, die Juden würden, in dem sie die Geldwirtschaft an sich rissen, die Beherrschung aller anderen Menschen anstreben, die „Weltherrschaft“ wurde an anderer Stelle im Völkischen Beobachter auch „Geldsackdiktatur“ genannt. Die Unterscheidung in „raffendes“, daher unproduktives und „schaffendes“, daher produktives Kapital war der Kunstgriff zur Stigmatisierung von Juden als „parasitäre Finanzjongleure“ bei gleichzeitiger Akzeptanz des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Den Juden wird dabei unterstellt, die weltweite Aneignung der Macht durch Aneignung allen Reichtums erlangen zu wollen, um danach weltweit den Kommunismus einzuführen. Der „Reichsminister für Volksaufklärung“ Goebbels fantasierte 1943 folgendes Szenario zusammen: Nach der Durchsetzung der jüdischen Weltherrschaft und der Gründung einer jüdischen Weltrepublik, würden die „Kapitolsjuden“ und die „Kremljuden“ als „Diktatoren“ herrschen. (zitiert nach Meyer zu Uptrup 1997, S. 231) Beliebte NS-Propagandabilder betonten das „Parasitäre“ durch den Vergleich mit Ungeziefer. Ein sehr folgenreiches Bild hatte Shakespeare mit der Figur des unbarmherzigen jüdischen Kaufmanns „Shylock“ entworfen. Dieses Bild lebt fort bis in unsere Zeit und hat nicht nur bei rechten Antisemiten, sondern auch als Kapitalismuskritik von links Konjunktur. In dem Roman von Gerhard Zwerenz „Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“, auf dem das Fassbinderstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ basiert, kehrt ein Jude aus Israel nach Deutschland zurück, um sich in altestamentalicher Manier („Auge um Auge“) an den Deutschen zu rächen. Mit dem Ziel der Verwüstung Deutschlands kauft er Häuser auf, um sie abzureißen und an ihrer statt Hochhaussiedlungen zu bauen. Diese Siedlungen sollten „Grabmale“ für Deutsche sein. Fassbinder sagte, er habe das Stück als Antwort auf die ständige Tabuisierung von Juden nach 1945 geschrieben. Der Mechanismus, die entlastende Umkehrung von Opfern zu Tätern, ist typisch für den so genannten „Sekundären Antisemitismus“ und wird hier noch mit der antisemitischen Figur des „reichen, rachsüchtigen Juden“ aufgeladen. Immer wieder wird auch in jüngster Zeit auf den vermeintlichen Reichtum von Juden angespielt. 1986 sagte der Bürgermeister von Korschenbroich, zur Sanierung des städtischen Haushalts „müsse man ein paar reiche Juden erschlagen“. (Benz 2001, S. 26) Es sind also nicht nur ausgewiesene Nazis die das Feindbild vom „reichen, parasitären“ Juden weiter verbreiten. In der so genannten Entschädigungsdebatte wurden jüdische Anwälte aus den USA von Rudolf Augstein als „Haifische im Anwaltsgewand“ von der „Ostküste“ bezeichnet. (Das Wort „Ostküste“ bezeichnet im Jargon von Neonazis die Wall Street in New York, wo die Nazis das weltweite Zentrum des „jüdischen Finanzkapitals“ orten.) Aus dieser Verkehrung von Tätern in Opfer leitete Gerhard Schröder die Schutzbedürftigkeit der deutschen Industrie ab. Geschützt werden musste die Industrie in dieser von sekundärem Antisemitismus geprägten Denkfigur vor den handlungsmächtigen ehemaligen Opfern, die jetzt zu Tätern geworden waren und sich am eigenen Untergang bereichern wollten. Diese Geldgier sei der Antrieb, Entschädigung zu fordern und die Deutschen nicht in Ruhe leben zu lassen. Das Feindbild des geldgierigen, reichen und rachsüchtigen Juden besteht also bis in unsere Tage fort. Literatur:
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