Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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B.3

Seminarphase: Gesellschaft begreifen
PLANUNGSHILFE

B.3 Seminarphase: Gesellschaft begreifen; Planungshilfe

Gesellschaftsanalyse großschreiben!

Rassismus einbeziehen, Anisemitismus vermeiden

Wenn die Verhältnisse den Menschen bilden,
so hilft nichts, als die Verhältnisse menschlich zu bilden.
Ernst Bloch

Ziele

Gesellschaft zu begreifen bedeutet, in ihr Strukturen zu erkennen und von dort aus Möglichkeiten zur Veränderung zu entwickeln. Zu einer komplexen Analyse gehört, die eigene Position und die Stellung anderer im Produktionsprozess sowie in Staat und Gesellschaft zu verstehen.

In diesem Teil geht es darum, bei der Analyse von Wirtschaft und Gesellschaft

  • erstens, Rassismus zu berücksichtigen und
  • zweitens, Verkürzungen zu vermeiden, die Antisemitismus Vorschub leisten.

Was & Wie – Inhalte und Methoden

Ungleichheit und Produktion. Um die Stellung von abhängig Beschäftigten im Produktionsprozess zu veranschaulichen und modellhaft die unterschiedlichen Positionen von Aus- und InländerInnen, Frauen und Männern, LeiharbeiterInnen und FacharbeiterInnen in Folge des Zwangs zur Profitmaximierung zu zeigen, schlagen wir folgende Aktivität vor:

Die Ver-Wertung des Menschen. Die private Verfügung über die Produktionsmittel ist Macht. Die Unternehmen entscheiden nicht nur, was wo wann wie produziert wird, sondern sie können mit dem Druckmittel Produktionsstandorte zu verlagern oder zu schließen sowohl die ArbeitnehmerInnen gefügig machen als auch die politische Regulation des Produktionsverhältnisses beeinflussen (z.B. mit der Forderung, Lohnnebenkosten zu senken). Aber das Gesetz der Konkurrenz durchdringt alle Ebenen der Gesellschaft. Die Einzelnen werden nach ihrer Verwertbarkeit beurteilt und verinnerlichen selbst das Verwertungsprinzip. „Du musst so handeln, dass du Gewinn machst“ wird zu einer Lebensstrategie: Männer wissen, dass es ihnen nutzt, dass Frauen bestimmte Jobs nicht bekommen, Junge wissen, dass es ihnen nutzt, dass ältere KollegInnen der steigenden Arbeitsintensität schlechter gewachsen sind, Deutsche wissen, dass es ihnen nutzt, dass AusländerInnen nachrangig eine Arbeitserlaubnis erhalten. Das Kriterium der Nützlichkeit und Verwertbarkeit bestimmt unseren Alltag, unsere Zeiteinteilung und selbst unsere sozialen Kontakte und zwischenmenschlichen Beziehungen (was bringt mir die Beziehung zu einer Person?). Nicht nur alle Sphären der Gesellschaft, sondern auch unser Bewusstsein wird durchkapitalisiert. Und weil das Sein unser Bewusstsein bestimmt und die Warenform das Denken, sind Alternativen so schwer zu entwickeln.

Wir schlagen vor, über die Themen Leistung, Konkurrenz und Gerechtigkeit in eine Diskussion einzusteigen:

Kapitalismus als Verhältnis begreifen, statt zu personalisieren. Kritik an der Ökonomie sieht oft so aus, dass der Kapitalismus in eine gute und eine schlechte Seite getrennt wird. Diese Denkweise verlagert die Widersprüche der kapitalistischen Produktion auf die Ebene der Zirkulation. Sie konstruiert einen Gegensatz zwischen „produktiver Arbeit“ und „Finanzkapital“. Gegenübergestellt werden „böse“ KapitalistInnen und „gute“ ArbeiterInnen. „Alles wäre gut, wenn nur die Banken und Finanzkapitalisten weg wären.“ Eine solche vereinfachte Analyse ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Sie bietet Anschlüsse an lange tradierte antisemitische Bilder wie die des „jüdischen Finanzkapitals“ und der „Macht der Juden“. Wir wollen sensibilisieren, um antisemitischen Feindbildern entgegentreten und für solche Bilder an Stelle einfacher Lösungen die komplexen Ursachen in den Blick zu bekommen:

Konkurrenz zwischen den abhängig Beschäftigten. Die abhängig Beschäftigten befinden sich im ökonomischen Prozess in Konkurrenz zueinander. Aufgrund von Qualifikation, sozialer Position, Rassismus und Sexismus stehen sie auf unterschiedlichen Stufen der betrieblichen Hierarchie. Darauf aufbauend können Koalitionen gebildet und genutzt werden, um die individuelle Situation abzusichern oder zu verbessern: z.B. Stammbelegschaft gegen ZeitarbeiterInnen, Männer gegen Frauen, Mitarbeiterkinder gegen die Kinder von erst kurz im Unternehmen Tätigen, Deutsche gegen MigrantInnen. Um innerbetriebliche Hierarchien zum Thema zu machen und Möglichkeiten solidarischen Handelns zu entwickeln, schlagen wir drei Aktivitäten vor:

AKTIVITÄTBetriebliche Arrangements verändern. B.3, Seite 75

AKTIVITÄTWie im richtigen Leben. B.3, Seite 61

AKTIVITÄTFragen eines lesenden Arbeiters. B.3, Seite 77

Die Aktivität widmet sich der Frage, warum die Perspektiven von allen die nicht reich, männlich, weiß usw. sind, oft ausgeblendet werden.

Weltweite Verteilungskämpfe und mögliche Reaktionen. Der Wunsch, andere auszugrenzen und nicht teilhaben zu lassen, ist eine mögliche Reaktion auf weltweite Verteilungskämpfe. Statt diesen Wunsch nur moralisch zu verurteilen, schlagen wir eine Auseinandersetzung mit den Verteilungskämpfen und ihren Ursachen vor, mit dem Ziel, diese solidarisch zu verändern.

ARBEITSPAPIERProletarier aller Länder unterbietet Euch?. C.9, Seite 387

Das Arbeitspapier setzt sich mit dem Widerspruch zwischen der Verteidigung sozialer Standards und freizügiger Arbeitsmigration auseinander.

HINTERGRUNDWarum rechte Einstellungen zunehmen — auch in Gewerkschaften. B.3, Seite 78

Das Arbeitspapier stellt die Erkenntnisse einer Jugendstudie über die Gründe für die Zunahme autoritärer und ausgrenzender Orientierungen bei Gewerkschaftsmitgliedern vor.

Reproduktion sozialer Ungleichheit. Unsere Gesellschaft beruht auf der Annahme, alle Menschen seien gleichberechtigt. Durch die tatsächlichen Ungleichheiten, national und weltweit, sind uns Ungleichheitsideologien jedoch fast zur zweiten Natur geworden. Und diese Ideologien sichern wiederum, dass es bleibt, wie es ist: Rassismus sichert die Diskriminierung von MigrantInnen, ebenso wie Sexismus die Diskriminierung von Frauen reproduziert. Was die ungleiche Verteilung von Rechten und Chancen für die Betroffenen bedeutet und wie die Diskriminierungen ideologisch begleitet werden, zeigt anschaulich:

Arbeit und Aggression. Die Anforderungen an die Selbstorganisationsfähigkeit, Flexibilität und Wettbewerbsbereitschaft der Beschäftigten steigen. Immer mehr Beschäftigte werden unmittelbar in die Befriedigung von Kundenerwartungen einbezogen. Ihren eigenen Arbeitsplatz erwirtschaften sie täglich. Anstelle eines Produktivitätsvertrags schließen Unternehmer und Beschäftigte einen Wettbewerbsvertrag: höhere Produktivität wird nicht mehr gegen höhere Löhne und Sozialleistungen getauscht, sondern gegen die Aussicht auf das Erreichen von Marktzielen und den Verzicht auf Kündigungen oder Produktionsverlagerungen. Abteilungen funktionieren wie ganze Betriebe und konkurrieren gegeneinander. Es reicht nicht mehr, den Unternehmen die eigene Leistungsfähigkeit zur Verfügung zu stellen, sondern heute müssen die Identifikation mit dem Unternehmenszielen und Risikobereitschaft hinzukommen. Die Beschäftigten als „Arbeitskraftunternehmer“ werden zunehmend belastet, dennoch erleben sie den Prozess aber auch als Zuwachs an Selbständigkeit und Kompetenz. Freie Zeit dagegen verliert an Wert oder wird selbst funktional zur (Wieder-) Herstellung der Leistungsfähigkeit. Die Folgen werden, solange man mithalten kann, meistens ausgeblendet oder in Anforderungen an andere umgewandelt: Die sollen sich anpassen, arbeiten oder in den Knast.

ARBEITSPAPIER"Die nehmen uns die Arbeit weg". B.3, Seite 65

Das Arbeitspapier setzt sich mit der gewaltsamen Durchsetzungsgeschichte der Arbeit und den damit verbundenen Aggressionen und Sündenbockstrategien auseinander.

  KAPITEL C.9, WELTARBEIT UND WIRTSCHAFTSWELT.

Das Kapitel enthält zahlreiche Arbeitspapiere und Aktivitäten, die sich mit nationalen und weltweiten Ausgrenzungsprozessen in der Arbeitswelt beschäftigen.

  KAPITEL C.3, RASSISMUS ALS GESELLSCH. VERHäLTNIS.

In diesem Kapitel könnt ihr lesen, welche Bedeutung die Konstruktion des „Zigeuners“ und des „Afrikaners“ als arbeitsunwillige „Andere“ bei der Durchsetzung der Werte und Sekundärtugenden im kapitalistischen Arbeitsprozess hatte.

Analyse ist auch immer die Analyse von Alternativen. Es gibt nicht nur zahllose Beispiele für Ausgrenzung und Konkurrenz, sondern auch Beispiele, wie die Entsolidarisierung überwunden werden kann. In der Unterstützung der Landlosenbewegung in Brasilien durch die IGM Jugend, in der internationalen Betriebsrätezusammenarbeit aber auch in der Durchsetzung von betrieblichen Gleichstellungsmaßnahmen sehen wir solche Ansätze. Diese verdienen es, analysiert zu werden, um die Vorstellungen vom Möglichen zu erweitern.

ARBEITSPAPIERStandorte Gruppe bei Opel Bochum: Solidarität statt Konkurrenz. C.7, –CD

In diesem Arbeitspapier stellen GewerkschafterInnen von Opel dar, dass ihr Beharren auf Solidarität statt auf „Standortsicherung“ nicht nur gut gemeint, sondern notwendig und möglich ist und berichten aus der internationalen Betriebsrätezusammenarbeit.

ARBEITSPAPIERHoch die, nieder mit, vorwärts zum!. C.9, Seite 378

Hier erfahrt ihr mehr über die Kämpfe der Landlosen und die Unterstützung durch die IG Metall.

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
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