Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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Seminarphase: Tu was!
Tu was! Vom „geht doch nicht“ zum „ist noch nicht“ Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht;
Andere haben sich gewehrt
ZieleWir wollen nicht nur Analysen für den „Misthaufen der Geschichte“ produzieren (Karl Marx) und lernen, die Wirklichkeit aus unterschiedlichen Perspektiven zu deuten – wir wollen sie auch verändern. Es gilt, „die Verhältnisse menschlich zu bilden“ (Ernst Bloch). Unsere Utopien liefern uns die Zielvorstellungen für unser Tun in der Gegenwart. Utopien sind rar in Zeiten, in denen Konkurrenz, Anpassung und Verzicht gepredigt werden und alle menschlichen Wünsche sich vermeintlichen Sachzwängen unterordnen sollen. Aber alle Menschen haben Utopien, auch wenn sie noch so gut hinter Realismus, Pragmatismus und Fatalismus versteckt sind. Es ist vielleicht eine der wichtigsten Aufgaben von Bildungsarbeit, Räume zur Formulierung von Utopien und Phantasien zu öffnen und gemeinsam zu überlegen, wie man ihnen näher kommen kann. Bildungsarbeit braucht also nicht nur den „Kältestrom der Analyse“, sondern auch den „Wärmestrom der Utopie“ (Ernst Bloch). Was & Wie? Inhalte und MethodenZwischen der Analyse eines Problems und einer Handlung liegen mehrere Schritte. Bevor ich etwas tue, muss ich Handlungsschritte entwerfen, verwerfen und planen. Davor liegt oft eine Auseinandersetzung mit Widerständen, denen ich begegnen werde – äußeren und inneren. Davor wiederum muss ich meine Wünsche bzw. konkreten Utopien formuliert haben – warum sollte ich sonst aktiv werden? Und oft entstehen diese Wünsche oder konkreten Utopien aus einer umfassenderen Utopie. Wie in allen Prozessen der Bildungsarbeit geht es auch hier nicht um eine starre Abfolge von Schritten und wie immer muss die Gruppe berücksichtigt werden. Eine Gruppe, die schon mit einem konkreten Projektziel zu einem Seminar fährt, muss vielleicht überhaupt nicht mehr über Wünsche und konkrete Utopien sprechen, weil sie das längst getan hat. Eine Gruppe, die sich ständig trifft, spricht vielleicht erst nach dem Seminar über die konkrete Umsetzung. Wir raten aber immer alle Schritte in irgend einer Form zu berücksichtigen: Wenn die Teilnehmenden keine Chance haben, ihre Utopien bzw. Wünsche zu entwickeln und zu formulieren, können sie auch keine erweiterten Handlungsperspektiven entwickeln. Wenn nicht über die äußeren und inneren Widerstände gesprochen wird, sind alle guten Vorsätze vom Scheitern bedroht. Und wenn nicht konkrete Handlungsmöglichkeiten entworfen werden, gelingt es meistens nicht, die großen Vorhaben auf ein zu realisierendes Maß zu bringen. Am Ende dieser Planungshilfe befindet sich eine Übersicht über die Schritte der Handlungsphase und geeignete Aktivitäten und Arbeitspapiere. Einige Aktivitäten erstrecken sich über alle bzw. fast alle Schritte. Andere sprechen besonders einen Schritt an, wobei oft auch andere Schritte mit erörtert werden können. Nähere Hinweise findet ihr in den jeweiligen Beschreibungen der Aktivitäten.
Utopien entwickeln. Immer findet sich in unserem Leben ein noch nicht eingelöster Wunsch, ein „Noch-Nicht“. Hoffnungen und Wünsche sind Mikroformen der Utopie. Sie beginnen beim kleinsten Tagtraum: dem Lottogewinn, der Reise in den Süden, dem neuen Freund / der neuen Freundin, der neuen Regierung aber auch bei den aggressiven Tagträumen wie dem vom „Tod der Schwiegermutter“. Es gibt aber nicht nur private Utopien. Utopien vergesellschaften sich in Gruppen, kleinen und großen Netzwerken und Interessenzusammenschlüssen. Für die meisten Menschen sind deshalb nicht die Zukunftsszenarien von ExperInnen ausschlaggebend, sondern erlebbare Ausblicke und aufblitzende Horizontüberschreitungen. Solche Utopien sind noch-nicht-verwirklichte objektiv-reale Möglichkeiten in der Welt (Ernst Bloch). Sie sind keine unerfüllbaren Träume, sondern sie können als „konkrete Utopie“ Wirklichkeit werden. Ohne utopische Überlegungen, wie es anders als bisher sein soll, entstehen keine erweiterten Handlungsmotivationen. Utopien sind verlängerte Gegenwarten und veränderte Räume. Um sie wahrzunehmen, ist es oft einfacher, Fragestellungen dem unmittelbaren Alltag zu entrücken. Auf diese Weise werden Phantasien freigesetzt, die sinnvollerweise erst in einem zweiten Schritt in konkrete Utopien und nach dem Ausloten von Widerständen in eigene Handlungsschritte übersetzt werden können.
Wünsche / konkrete Utopien formulieren. Die Ausgangspunkte von Wünschen und konkreten Utopien finden sich nicht nur auf dem Umweg über „große Utopien“, sondern auch in der Reflexion und Kritik des Bestehenden. Utopien und „konkrete Utopien“ treiben zur Veränderung des unbefriedigenden Gegenwärtigen an. Dieses Bessere wird aus dem Jetzigen projektiert und in Angriff genommen. Oft wird bereits in der Erfahrungshebung die Unzulänglichkeit der Gesellschaft beschrieben, d. h. eigene Erfahrungen werden an einem Maßstab des Besseren kritisch reflektiert. In jeder Kritik steckt bereits eine Idee, wie es anders sein könnte. In der Handlungsphase bzw. in den Handlungsphasen des Seminars gilt es, diese konkreten Utopien aufzugreifen und fortzuentwickeln. Wenn konkrete Utopien aus utopischen Großentwürfen entwickelt werden, ist es wichtig, dass sie in dieser Phase nicht mehr in das Reich der Zukunft projiziert, sondern konkret und erreichbar sind.
Widerständen begegnen. Wer handelt, riskiert immer etwas. KollegInnen können mit Unverständnis reagieren, die Familie kann sich beschweren, der eigene Alltag kann durcheinander geraten, es kann Kritik geben oder Drohungen und beim Überschreiten von Regeln sogar Sanktionen. In Seminaren sollte deshalb immer Raum geschaffen werden, um Ängste und Bedenken anzusprechen. Das Ergebnis ist dabei offen: Die Teilnehmenden können sich entscheiden, einen Wunsch zu verwirklichen oder sie können sich entscheiden, es nicht zu tun. Die gemeinsame Diskussion in der Gruppe kann dabei nicht nur bei der individuellen Entscheidung helfen, sondern sie kann auch die Prognose verändern: Denn wenn viele sich für eine Sache einsetzen und sich gegenseitig unterstützen, sieht die Lage gleich ganz anders aus. In der Diskussion über Widerstände und Hemmnisse finden wir auch immer neue Verbündete. Widersprüche und Widerstände unter den Tisch zu kehren, würde auch nichts bringen: Das Seminar ist ein Freiraum neben der Alltagsrealität. Wenn Handlungsmöglichkeiten nicht realistisch unter Einbeziehung von Widerständen geplant werden, scheitern die guten Ideen in der Praxis.
Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein. (Kurt Tucholsky)
Handlungsschritte entwerfen, verwerfen & planen. Handeln ist eine alltägliche Aktivität. In der Bildungsarbeit ist die Entwicklung von Handlungsschritten deshalb so „spektakulär“, weil die Grenzen des eigenen Handlungsbereichs reflektiert und verändert werden können. Statt schneller Konzepte und Rezepte – die wieder fremdbestimmt sind oder sich allein auf Sozialtechniken zu berufen –, geht es uns um eine Erweiterung der individuellen und kollektiven Handlungsmöglichkeiten. An diesem Anspruch sollten sich alle konkrete Vorhaben bzw. Projekte messen, die in der Handlungsphase entwickelt werden. Sie sollten auf die Lebenszusammenhänge der TeilnehmerInnen zugeschnitten sein und auf ihre Alltagstauglichkeit überprüft werden. Um Handlungsoptionen zu entwickeln, die auch gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus wirken, muss mit geplant werden, wie potentielle Konflikte entschärft bzw. überwunden werden können (z.B. durch das Gewinnen von BündnispartnerInnen). Neben den zur Entwicklung von Handlungsschritten vorgeschlagenen Aktivitäten im Kapitel B.4 gibt es in Teil C zu allen Themen geeignete Aktivitäten.
Beginn der Umsetzung, Projekte. Je weniger „erweiterte“ Handlungserfahrungen die Teilnehmenden haben, desto wichtiger ist es, dass ein Seminar mit einem ganz konkreten Ausblick endet. Wichtiger als ein spektakuläres Ergebnis ist dabei oft die Erfahrung, auch in kurzer Zeit und mit beschränkten Mitteln etwas tun zu können. Diese Erfahrung kann noch im Seminar gemacht werden, z.B. mit einer kleinen Aktion im Ort. Es ist aber auch möglich, „Probehandeln“ oder Vorbereitungen für den Alltag vorzunehmen: Betriebsversammlung planen, Info-Blatt für das schwarze Brett im Betrieb schreiben, Flugblatt entwerfen, usw. Vom Problem zum Handeln
Analyse Problemansichten
Utopien entwickeln
Utopien entwickeln
Widerständen begegnen
Handlungsschritte entwerfen, verwerfen, planen
Beginn der Umsetzung, Projekte
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Download: B4-TuWas.pdf |