Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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C.1

Thema: Feindbilder
PLANUNGSHILFE

C.1 Thema: Von Vor- und anderen Urteilen; Planungshilfe

Von Vor- und anderen Urteilen

„Ich lernte, dass keine Lüge zu plump ist,
als dass die Leute sie nicht glauben würden,
wenn sie ihrem geheimen Wunsch, sie zu glauben,
entgegenkommt.“
Christa Wolf

„Ein Vorurteil ist nicht die Meinung, die ein Mensch allein hat,
sondern es ist die gemeinsame Meinung einer Gruppe. […]
Menschen suchen nach Bestätigung und registrieren besonders die Dinge,
die ihre Bilder und Vorstellungen von der Welt bestätigen.
Sie nehmen selektiv wahr. Wenn das Vorurteil besteht, dass Franzosen
gute Köche sind, dann wird das Essen in einem französischen Restaurant
besonders gut schmecken. Sollte das Essen tatsächlich schlecht sein,
so stellt der Gast Vermutungen darüber an, warum der Koch gerade heute
seinen schlechten Tag hat […]“
Dieter Lünse u. a.

„Ein Deutscher ist ein Mensch,
der keine Lüge aussprechen kann,
ohne sie selbst zu glauben.“
Theodor W. Adorno

Vater und Tochter haben einen Knick in der Nase. Wir vermuten, dass der Knick vererbt ist. Tatsächlich hatten beide aber einen Nasenbruch. Wir sind einem Vorurteil aufgesessen.

Jeder Mensch hat Vorurteile. Ein wirkliches Urteil kann man sich erst bilden, wenn man zu einem Gegenstand viele Erfahrungen und Informationen gesammelt und ausgewertet hat. Das Für und Wider, verschiedene Perspektiven und Wahrheiten müssen gehört werden, bevor man ein Urteil fällen kann. Davor existieren Vorannahmen. Vorurteile sind also Urteile, die vor einem wirklichen Urteil getroffen werden, vorschnelle Urteile. Es sind Annahmen, die als sehr sicher gelten, ohne dass sie hinreichend geprüft sind. Sie zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie verallgemeinern, ungenau sind und eine Bewertung beinhalten. Vorurteile helfen den Einzelnen, Orientierung in einer unübersichtlichen Welt zu erlangen und bringen damit Verhaltenssicherheit. Sie halten soziale Gruppen zusammen und ermöglichen die Herstellung eines WIR in Abgrenzung von einem DIE.

Vorurteile können schnell zu Feindbildern werden, aber sie werden es nicht automatisch. Feindbilder sind Bilder von „Sündenböcken“, von Menschen, die zu Feinden erklärt werden, auch wenn das nicht immer bewusst oder absichtsvoll geschieht. Feindbilder sind hartnäckig und aggressiv, denn sie haben Motive. Damit sind Feindbilder nie harmlos, die bloße Äußerung ist bereits ein Ausdruck von Machtausübung.

Ziele

  • Dieses Kapitel soll die Seminargruppe motivieren, sich mit Vorurteilen und Feindbildern auseinander zu setzen.
  • Die TeilnehmerInnen sollen Wirkung und Funktionen von Vorurteilen und Feindbildern kennen lernen.
  • Der Unterschied zwischen Vorurteilen und Feindbildern soll deutlich werden.
  • Es soll nicht vorrangig der Versuch unternommen werden, Vorurteile zu widerlegen, sondern deutlich werden, dass sich Vorurteile kaum widerlegen lassen, da es immer wieder Gelegenheiten gibt, sich Bestätigungen dafür zu suchen.
  • Die Rahmenbedingungen und die Geschichte, in denen Vorurteile und Feindbilder konkret entstehen, sollen in die Betrachtung einbezogen werden. Bei der Analyse der Motive für Feindbilder sollen nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Motive (z.B. die Darstellung des „Feindes“ während eines Krieges), einbezogen werden. Damit soll eine Verkürzung auf „individuelle Einstellungen“ vermieden werden.
  • Vermittlung der Faustregel: Je gleichberechtigter die Menschen in einer Gesellschaft sind, desto harmloser sind Vorurteile und desto weniger können Feindbilder anrichten.

Was & Wie? Inhalte und Methoden

Wir diskutieren über den Unterschied zwischen Vorurteilen und Feindbildern.

Wir fragen nach den Mechanismen von Vorurteilen und danach, welche Dynamik Feindbilder entwickeln können.

Wir fragen und erproben, wie gegen Phrasen argumentiert werden kann.

Wir bieten darüber hinaus Arbeitspapiere an, die sich mit konkreten Feindbildern, ihrer Geschichte und dem zu Grunde liegenden Machtverhältnis beschäftigen.

Über fast alle Gruppen gibt es Vorurteile, aber nicht über alle Gruppen Feindbilder. Wir schlagen vor, zunächst gemeinsam zu klären, was ein Vor-Urteil und was ein Urteil ist.

AKTIVITÄTPositionsbarometer mit Thesen: (Beispiele können sein: Bayern trinken mehr Bier als Norddeutsche, Schwarze können besser tanzen, Heterosexualität ist eine natürliche Veranlagung, Lehrer sind autoritär, …) Welche dieser Aussagen sind Urteile, welche Vorurteile? Welche Erfahrungen und Kenntnisse haben euch zu dieser Antwort bewogen?

Wir beschäftigen uns dann damit, wie Wahrnehmung funktioniert und damit, dass unsere Wahrnehmung nicht „neutral“ ist, sondern durch sehr viele Vorannahmen geprägt.

„Ohne die Maschinerie der Vorurteile
könnte einer nicht über die Straße gehen,
geschweige denn einen Kunden bedienen.
Nur muss er imstande sein die Generalisierung einzuschränken,
wenn er nicht unter die Räder kommen will.“
(Max Horkheimer)

Hinweise für TeamerInnen

Achtung: Schon das Aufrufen von Feindbildern setzt sie in Wert und macht manchmal den falschen Spaß. Der potentielle Gewinn einer Analyse muss immer diesen Nebeneffekt überwiegen! Deshalb raten wir davon ab, mit einer Feindbildersammlung in der Gruppe zu beginnen. Stattdessen schlagen wir vor, zunächst an von den TeamerInnen mitgebrachten Materialien zu arbeiten und sich die nötige Zeit zur Analyse der Struktur, der Funktion und des Nutzens von Feindbildern zu nehmen. Das gilt insbesondere für antisemitische Bilder, die eine besondere Dynamik haben (p planungshilfe – Antisemitismus entgegentreten. seite 161). Feindbilder verletzen – auch dann, wenn sie „nur analysiert“ werden sollen. TeamerInnen sollten darauf achten, nicht an Bildern zu arbeiten, die zu Lasten von TeilnehmerInnen gehen, die sich bereits oft mit diesen Feindbildern herumschlagen müssen. Es kann jedoch hilfreich sein, Vorurteile einzubeziehen, die sich gegen starke Gruppen richten, denen die TeilnehmerInnen angehören: z.B. „Alle Facharbeiter sind …“, „alle SchülerInnen der 8 b sind …“. Dabei sollten aber auf keinen Fall einfache Vergleiche gezogen werden. Weil ich als Schülerin der 8 b von der 8 a gefoppt werde, weiß ich beispielsweise noch lange nicht, wie es sich anfühlt, als Roma auf Wohnungssuche zu gehen.

Die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Feindbildern ist immer ein Wagnis und die Dynamik der Diskussion meistens nicht abzuschätzen. Als Tipp schlagen wir vor, entstehende Fragen und Probleme in die Gruppe zurückzugeben – was Zeit erfordert. Die Teilnehmenden können so am Prinzip der genauen Beobachtung und der überlegten Urteilsfindung aktiv beteiligt werden.

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
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