Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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C.6

Thema: Rechte Bilder
ARBEITSPAPIER

C.6 Thema: Rechte Bilder; Arbeitspapier

„Hart wie Riefenstahl“

Über den Einzug der Riefenstahl-Ästhetik in die populäre Kultur

Riefenstahl: „Ich kann nur sagen, dass ich mich von allem Schönen spontan angezogen fühle. Ja: Schönheit, Harmonie. ... Was lediglich realistisch ist, aus dem Leben gegriffen, durchschnittlich, alltäglich, das interessiert mich nicht … Mich fasziniert alles, was schön ist, stark, gesund, was lebt. Ich suche Harmonie. Wenn Harmonie geschaffen wird, bin ich glücklich ...“ (zitiert nach Susan Sontag 1983, S. 96 – 125).

Leni Riefenstahl hat mit dieser Haltung in ihren Arbeiten Einzug in unsere alltägliche Bilderwelt gehalten. Sie ist eine umstrittene Figur, die für ihre Rolle im Nationalsozialismus und die Ästhetik ihrer Arbeiten angegriffen und von ihren BefürworterInnen mindestens ebenso stark verteidigt wird. Besonders seit den 1990er Jahren ist Leni Riefenstahl in einer breiten Öffentlichkeit präsent. Zu ihrem 100. Geburtstag 2002 erschienen zahlreiche Bücher über sie und ihre Arbeit. Zuvor hatte die Band Rammstein im Videoclip zu ihrem Depeche Mode Cover „Stripped“ Filmsequenzen aus Riefenstahl-Filmen eingesetzt. Die Frauenzeitschrift EMMA hatte ihr im Heft 1/1999 eine 15,seitige Titelstory gewidmet und damit einen erheblichen Anteil an ihrer Rehabilitation geleistet.

Zur Person

Leni Riefenstahl war mit Adolf Hitler freundschaftlich verbunden und drehte die wichtigsten Propagandafilme für die NSDAP. 1933 drehte sie „Sieg des Glaubens“, 1934 „Triumph des Willens“. Die Filme sind Inszenierungen der ersten beiden Parteitage nach dem nationalsozialistischen Machtantritt. 1935 folgte der Propagandafilm „Tag der Freiheit – Unsere Wehrmacht“. 1936 drehte sie bei der Olympiade die Filme „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“. Nach Kriegsbeginn startete Leni Riefenstahl die Dreharbeiten zu dem Film „Tiefland“, der jedoch erst 1954 uraufgeführt wurde und erfolglos blieb. Für die Filmarbeit hatte sie 60 Sinti und Roma aus dem Internierungslager Maxglan bei Salzburg ausgewählt, von denen einige nach Beendigung der Dreharbeiten nach Auschwitz deportiert wurden und dort umkamen. Riefenstahl behauptete stets, alle 60 Sinti und Roma nach 1945 noch lebend gesehen zu haben, erst 1982 konnte sie diese Behauptung aufgrund der gerichtlich festgestellten Faktenlage nicht mehr aufrechterhalten. Mit ihren Filmen konnte Riefenstahl nach 1945 keine Erfolge mehr erlangen. Erst als Fotografin gelang ihr ein Wiedereinstieg als beachtete Person. War Leni Riefenstahl dennoch jahrzehntelang umstritten, so scheint mit ihrem 100. Geburtstag 2002 die Rehabilitation ihrer Person und ihrer Arbeiten weitgehend abgeschlossen zu sein. Riefenstahl starb im Jahr 2003.

Riefenstahlästhetik

Der Nationalsozialismus herrschte mit ungekannter Brutalität und Terror, der Millionen Menschen das Leben kostete. Doch propagandistisch gehörten zum Nationalsozialismus der Kult der Schönheit, die Verehrung des Mutes, ekstatisches Gemeinschaftsgefühl, die Ablehnung des Intellekts und das Angebot klarer Strukturen. In der nationalsozialistischen Kunst wurden diese Vorstellungen in einfache und klare Bilder übersetzt. Neben Arno Breker war es vor allem Leni Riefenstahl, die die NS-Ideologie in Szene setzte. Beide feierten und verherrlichten in ihrer Kunst die Schönheit gesunder wohlgeformter Körper und frönten damit einem pathetischen Körper- und Heldenkult, der die Leiden all jener, die diesen Kriterien nicht entsprachen, ausklammerte.

Susan Sontag hat in den frühen 1980er Jahren anlässlich des Erscheinens des Nuba-Buches* von Riefenstahl in den USA die Hauptmerkmale der Ästhetik dieser Bilder untersucht. Sie kommt im Kern zu dem Ergebnis, dass Riefenstahl in ihren Bildern Situationen darstellt, „in denen Beherrschung, Unterwerfung, außergewöhnliche Anstrengung und das Ertragen von Schmerzen zum Ausdruck kommen. Diese Ästhetik propagiert zwei scheinbar gegensätzliche Eigenschaften: Ichbezogenheit und Untertanengeist.“ (Sontag 1983, S. 112). Sontag führt weiter aus, dass durch die Vereinigung von Menschengruppen zu Menschenansammlungen die Beziehung zwischen Herrschaft und Versklavung ausgedrückt wird. Menschen werden zu Objekten umgeformt, die Objekte zu Massen. Diese scharen sich um eine allmächtige, hypnotisierende Führerfigur oder Macht. Es wird ein äußerst lustvolles Wechselspiel zwischen machtvollen Kräften und ihren einheitlich gekleideten, zu immer größeren Massen anschwellenden Marionetten inszeniert. Die Ästhetik der Nuba-Bilder von Leni Riefenstahl lässt sich mit den gleichen Merkmalen beschreiben, die ihre nationalsozialistischen Inszenierungen charakterisieren: Beherrschung, Unterwerfung, außergewöhnliche Anstrengung, Ertragen von Schmerzen, Herrschaft und Versklavung, blinder Gehorsam und Tod (vgl. Sontag 1983, S. 111 f.).

Riefenstahl ist Gegenwart

Welche Faszination geht für viele Menschen heute von dieser Ästhetik aus? Woher kommt es, das Elemente davon Einzug in unsere alltägliche Bilderwelt gehalten haben und uns in der Popmusik wie in der Werbung begegnen?

Die immer größer werdende Komplexität der Welt bedeutet für den einzelnen Menschen eine größer werdende Kompliziertheit. Es gibt wenig Gewissheiten, die Welt befindet sich in einer rasanten Entwicklung. Es entstehen Unsicherheiten und Veränderungen, durch die sich viele Menschen überfordert fühlen. Flankiert wird diese Entwicklung durch eine Propagierung von Leistung, „Eigenverantwortlichkeit“ und Konkurrenz. Solidarisches Verhalten gilt als altmodisch, stattdessen herrscht das Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. In dieser allgemeinen Verunsicherung vermittelt das nationalsozialistische Weltbild Sicherheit und Klarheit. Es gibt Führer und Geführte, Starke und Gesunde, klare Regeln statt der stetigen Herausforderung des eigenen Denkens und Entscheidens.

Die große Unübersichtlichkeit, die Überforderung die Welt und ihre Strukturen noch zu begreifen sowie die Angst, selbst nicht mehr dazuzugehören, nähren das Bedürfnis nach intensiven Gemeinschaftserlebnissen in klaren Strukturen. Diese Bedürfnisse des modernen Menschen werden angesprochen in der Ästhetik von Leni Riefenstahl. In ihrer Kunst drückt sich dies durch die einfache bildreiche Sprache, mit der das Gefühl angesprochen wird, aus. Kein Zweifeln oder Sinnieren, keine inneren Konflikte, keine Zwiesprache stören die Klarheit des Dargestellten. So verschwindet das eigentlich Menschliche aus den Bildern. An dessen Stelle tritt die „kalte Monumentalität einer Welt, in der es weder Erfahrung noch Mitleid gibt“ (Seeßlen 2002).

Hier dürften die Hauptursachen für den Erfolg ihrer Arbeit und für den Einfluss, den ihre Ästhetik auf die Bildsprache heute hat, liegen.

*Die Nuba leben im Sudan, einem Gebiet, in dem der älteste Bürgerkrieg der Erde stattfindet. Seit fast fünfzig Jahren herrscht im Sudan Krieg. Im Laufe des Krieges starben auch zehntausende Nuba. Mehr als eine Millionen Nuba leben heute noch im Sudan, mehrheitlich in den Nuba-Bergen.

Literatur:
Seeßlen, Georg (2002): Leni Riefenstahl wird 100. Kann ein Korallenriff faschistisch sein? In: Konkret, Heft 8.
Sontag, Susan (1983): Faszinierender Faschismus. In: dies.: Im Zeichen des Saturn. Frankfurt/M.

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
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