Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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C.8

Thema: Migration
ARBEITSPAPIER

C.8 Thema: Migration; Arbeitspapier

Anumsa – Illegal in Deutschland

Was morgen ist, weiß ich nicht …

Ich heiße Anumsa und bin 20 Jahre alt. Mit meinen Eltern und meinem Bruder bin ich 1988 aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen. Wir erhofften uns ein besseres Leben hier in Deutschland, dass wir hier zur Schule gehen könnten. In Mazedonien schlagen die Lehrer die Kinder und du darfst auch nicht Romanes sprechen, nur Mazedonisch.

In Düsseldorf haben wir einen Asylantrag gestellt. Wir haben uns dort gut gefühlt, wir waren glücklich. Aber als wir die Abschiebung bekommen haben, da war alles vorbei. Wir haben an den großen Protestaktionen der Roma, am Bettelmarsch und an dem Protestlager in Düsseldorf teilgenommen. Wir waren fünf Jahre hier und nun sollten wir Deutschland einfach verlassen.

Ich war noch in der Schule, als ich die Abschiebung bekommen habe. Ich habe den Lehrer gefragt, ob er nicht etwas für mich unternehmen könnte, dass ich da bleiben könnte. Er hat mir gesagt, dass er das nicht kann, er wollte mich auch nicht unterstützen, dann bin ich rausgeflogen. Ich bin einfach gegangen, denn er wollte mir nicht helfen. Wir sind dann nach Köln gegangen. Hier hat man uns geholfen. Also ich kann mir das Leben weiter nicht vorstellen. Wir haben keinen Ausweis, wir dürfen nicht so viel rausgehen. Wir dürfen nicht arbeiten. Das Leben ist einfach Scheiße so. Ich habe inzwischen viele Freunde hier in Köln. Wir gehen zusammen spazieren, aber ich habe jedesmal Angst. Wenn ich die Bullen sehe, dann ziehe ich mich zurück, und meine Freunde fragen mich, wieso hast du Angst. Sie wissen nicht, dass ich illegal hier bin, sie denken, dass ich irgend etwas getan habe.

Ich habe vielen Freunden gesagt, wenn sie mit mir zusammen sind, dann sollen sie keine Scheiße bauen, dass uns die Polizisten nicht aufhalten, wenn wir alle zusammen weggehen, einkaufen, in der Stadt spazieren gehen. Wenn ich sage, jetzt ist genug, ich habe keine Lust mehr hier, die verstehen das, dann sagen die okay, wir begleiten dich bis nach Hause. Das sind drei Deutsche, dann Italiener und Türken. Die gemeinsame Sprache ist deutsch.

Ich muß immer alles beobachten, ich muß wissen, mit wem ich es zu tun habe, mit wem ich zusammen sein kann und mit wem nicht. Wenn ich einen Ausweis hätte, dann würde mich das gar nichts angehen. Ich bin noch nie schwarz gefahren. Um zur Arbeit zu kommen, habe ich einen Streckenfahrausweis. Wenn ich mal eine andere Strecke fahren muss, dann muss ich mir einen Fahrschein kaufen. Aber weil ich nicht so viel Geld habe, laufe ich dann lieber zu Fuß. Wenn sie mich erwischen würden, dann müsste ich 70 DM bezahlen, die habe ich aber nicht, dann würden sie meinen Ausweis verlangen und mich in den Computer eintippen und darin sehen, dass ich längst hätte nach Jugoslawien gehen müssen. So haben sie meinen Bruder erwischt.

Das mit Verstecken oder Verbergen, wenn ich das genau erzählen soll, das ist so: Wenn ich die Polizei sehe, dann bekomme ich Angst. Aber wenn nichts ist, habe ich nicht das Gefühl, dass ich jetzt illegal bin. Wenn ich mit Freunden Spaß mache, dann vergesse ich das alles. Aber wenn ich daran denke, das ist das Schlimmste. Einen Moment denke ich, ich bin frei und einen Moment denke ich, ich bin nicht frei – ich kann mich nicht frei bewegen.

Auch meine beste Freundin weiß nicht, dass ich illegal bin, aber sie weiss, dass ich keinen Ausweis habe, sie beschützt mich, sie unterstützt mich. Ich kann ihr nicht sagen, dass ich illegal bin. Ich habe kein Vertrauen, egal ob sie meine Freundin ist oder nicht. Sie weiß, wo ich wohne, sie kommt zu mir, aber ich habe noch nicht das größte Vertrauen zu ihr, denn vielleicht habe ich irgendwann mal Ärger mit ihr und dann bringt sie vielleicht Polizisten zu mir. Sie ist Deutsche. Ich erzähle ihr sonst alles, zum Beispiel, wenn ich Probleme habe, ich erzähle ihr alles, denn sie erzählt mir auch alles. Aber wegen der Illegalität, das kann ich einfach nicht sagen. Vielleicht später, wenn ich ihr noch mehr vertraue, ich vertraue ihr jetzt auch, aber nicht so viel. Eigentlich möchte ich weitergehen mit meinem Vertrauen, aber mein Gefühl, meine Gedanken lassen das nicht zu.

Den Kontakt mit den alten Freunden, den vermisse ich sehr. Ich bin öfter nach Düsseldorf gefahren, sie haben uns dann abgeholt, aber wir waren nur bei ihnen zu Hause, wir waren nur drinnen. Ja, das ist eine ungeschützte Situation, in die Stadt zurückzugehen, aus der du abgeschoben wurdest. Wir sind nur abends dort hingefahren, wenn es dunkel war, damit uns niemand sieht. Seit eineinhalb Jahren sind wir weg aus Düsseldorf. Ich habe jetzt neue Freunde, ich vermisse die alten Freunde schon, aber es geht nicht anders. Die alten Freunde wollten auch mal hierher kommen, aber ich wollte nicht, dass sie wissen, wo ich wohne.

Ich gehe gerne Tanzen, aber seit Weihnachten war ich nicht mehr. Ich gehe mit Freundinnen oder Freunden, das macht zusammen mehr Spaß. Ich gehe schon fast jeden zweiten Samstag. Manchmal denke ich darüber nach, dass ich da kontrolliert werden könnte, aber was soll ich machen. Ich habe mehr Angst davor, dass die Leute mich angucken, wenn ich kontrolliert würde, nicht, dass sie mich erkennen, sondern dass die Polizisten mich kontrollieren und die Leute gucken alle zu, das ist mir peinlich, da schäme ich mich, die könnten denken, was hat das Mädchen gemacht? Ja, die würden denken, ich habe etwas geklaut. Ich würde mich für etwas schämen, was ich gar nicht gemacht habe.

Auf meiner Arbeitsstelle, da bin ich nicht offiziell, aber ich verdiene da mein Taschengeld. Wir bekommen durch das Kirchenasyl 350 DM für die ganze Familie und das reicht nicht. Also muss ich irgendwie mein Taschengeld verdienen. So arbeite ich die ganze Woche, jeden Tag acht Stunden für 50 DM in der Woche. Das ist sehr wenig, stimmt ‘s? Ich bin glücklich da, besser als zu Hause rumhängen und schlafen. Ich habe viele Freunde da. Wäre ich zu Hause geblieben, hätte ich jetzt keine Freundin.

Dort, das ist natürlich nicht hundertprozentig sicher, aber es geht so. Die ständige Anspannung, entdeckt zu werden, kann ich dort ein bisschen vergessen. Natürlich könnte da auch was passieren, eine Kontrolle z. B, aber ich glaube, wenn das käme, würde die Chefin sagen, du mußt jetzt verschwinden, da kommen Leute. Da könnte ich mich hinter einer anderen Tür verstecken. Sie wissen, dass ich illegal bin, und ich glaube, sie sagen mir Bescheid. Sie mögen mich, sie hassen mich nicht, weil ich Ausländerin bin oder weil ich eine Roma bin. Das ist ihnen egal. Und ein Mensch ist ein Mensch. Auch der Chef ist ganz gut. Wir reden über meine Probleme, da sagt er, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.

So, jetzt bin ich ganz fertig, ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht, ich kann mir Zukunft gar nicht vorstellen. Es gibt so gar keine Perspektive. Alles geht ins Leere. Was morgen ist, weiß ich nicht.

Quelle: Ronek (Hg.) (1995): Jekh Chib. Nr. 5, Nov. 1995, Bobstr. 6 – 8, 50676 Köln

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
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