Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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C.7

Thema: Nationalismus
HINTERGRUND

C.7 Thema: Nationalismus; Hintergrund

Kein schöner Land

Nation und Nationalismus zwischen Verheißung und Verhängnis

„Nation, die: 1) Gesamtheit der Bewohner eines Landes, wie sie durch die politische Entwicklung geformt ist und sich als Einheit erhalten will (Staats-Nation, z. B. Frankreich). 2) Das Volk als Einheit der Abstammung, Sprache und Kulturüberlieferung“ (Brockhaus 2003, S. 704).

„Nation (…) bezeichnet eine Gemeinschaft von Menschen, die sich aus ethnischen / sprachlichen / kulturellen und / oder politischen Gründen zusammengehörig und von anderen unterschieden fühlen.“ (Nohlen / Schultze 2002, S. 558).

„Sie ist eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist sie deswegen, weil die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert.“ (Anderson 1996, S. 15)

Wir sind das Volk!“ Mit dieser Parole forderten BewohnerInnen der Deutschen Demokratischen Republik 1989 Rechte auf demokratische Mitbestimmung, Meinungs- und Reisefreiheit ein. Schon kurz darauf veränderte sich die Tonlage: „Wir sind ein Volk!“ hieß es nun. Nur ein kleines Wort war ersetzt worden, und die Botschaft war eine andere: Im Mittelpunkt stand jetzt die Vereinigung von Deutschen mit Deutschen. Gefühle von Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Verbundenheit wurden angeführt. Man stünde sich „nahe“, sei schließlich eine Nation, „ein Volk“. Im Folgenden erlebte der Begriff der Nation in Deutschland wieder eine Renaissance. Die Stimmung gegenüber Nichtdeutschen änderte sich: Viele vietnamesische VertragsarbeiterInnen mussten Deutschland verlassen, Flüchtlingsheime wurden unter dem Beifall und aktiver Mithilfe der AnwohnerInnen angegriffen und das Asylrecht in seiner bisherigen Form abgeschafft. Wer kommen durfte, sollte sich anpassen. Im Jahr 2000 erhoben Politiker eine „deutsche Leitkultur“ zum Maßstab und erklärten, was lange Zeit undenkbar war: Sie seien „stolz, Deutsche zu sein“.

Was ist eigentlich eine Nation?

Es gibt keine allgemeingültige Einigung darüber, welche Kriterien eine Nation zur Nation machen. Meinen wir einen Staat? Dessen BewohnerInnen? Oder eine Bevölkerungsgruppe ohne Staat? Und was ist das innere Kriterium für diejenigen, die dazu gehören? Je nach Sichtweise handelt es sich um ein „geistiges Prinzip der Zusammengehörigkeit“, eine „Einheit der Abstammung“, oder eine Gruppe, die politische Gründe zusammengeführt hat.

Wo kommen Nationen her?

Das Wort „Nation“ kommt vom lateinischen „natio“ (Geburt, Volksstamm, Gattung) und wurde im Laufe der Jahrhunderte in verschiedenen Zusammenhängen benutzt. So bezeichnete man zur Zeit der Völkerwanderungen die „Stämme“ ebenso als Nation wie im späten Mittelalter und in der Neuzeit die jeweils mit politischer Entscheidungsmacht ausgestattete Schicht eines Landes. Die sozial privilegierten Schichten in Ungarn und Polen Anfang des 18. Jahrhunderts waren zum Beispiel die „Adelsnation“.

Im Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts veränderte sich im Zuge der Industrialisierung und Modernisierung die bestehende ständisch-feudale Gesellschaftsordnung rasant. Die Agrargesellschaft wurde in ihrer bisherigen Form aufgelöst, die Menschen wurden gezwungen, in die Städte zu ziehen. Die durch die neue industrielle Produktionsweise auf eine höhere Stufe gesetzte Kapitalakkumulation führte zu beträchtlichen wirtschaftlichen, infrastrukturellen und sozialen Veränderungen.

Die kapitalistische Produktionsweise brachte ein immer stärker werdendes Gewerbe- und Handelsbürgertum hervor, das Beteiligung an der politischen Macht und wirtschaftliche Freiheit forderte. Auch größere Wirtschaftsräume wurden erforderlich. Die bürgerlichen Revolutionen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts brachten dem Bürgertum die Teilhabe an der Macht. Gleichzeitig wurde es auf dem bereits vorhandenen staatlichen Territorium zum kollektiven Träger „nationaler Souveränität“ erklärt, also zur unbeschränkten, unabhängigen und (theoretisch) zur Herrschaft berechtigten Bevölkerung auf „eigenem“ staatlichen Territorium. Eine Souveränität, die auf der Hegemonie des Bürgertums gründete. Dieses verkörperte nun die Verbindung von individueller Freiheit mit der Nationalidee. Damit war der Grundstein für eine neue Verbindung von Staat und seiner Bevölkerung gelegt: Die BewohnerInnen eines Staates wurden zur Nation erklärt. „Nicht mehr der göttliche Körper des Königs, sondern die geistige Identität der Nation bestimmte nunmehr Territorium und Bevölkerung als ideale Abstraktionen“ (Hardt / Negri 2002, S. 108).

Historisch betrachtet lassen sich in der nun folgenden Entwicklung zwei wesentliche Formen und Verständnisse von Nationen herauskristallisieren: Die Idee der Staats- oder Willensnation und die Idee der Kultur- bzw. ethnisch-bestimmten Nation. Diese beiden Formen definieren sich über verschiedene Zugehörigkeitskriterien. Die Grenzen zwischen diesen beiden Formen sind aber fließend und oft bis zur Unkenntlichkeit verschwommen.

Staatsnation

Im Sinne der französischen, amerikanischen und englischen Revolution ist mit Staatsnation die Bevölkerung eines bestimmten Territoriums, der staatlichen Verwaltungseinheit Nationalstaat gemeint. Die Staatsnation wurde ursprünglich als Willensgemeinschaft verstanden. Theoretisch können damit alle dazugehören, die das wollen, unabhängig von ethnischer Herkunft, Geschlecht oder Sprache. Staatsnation heißt, dass BewohnerInnen eines bestimmten Territoriums durch politische Werte (wie in Frankreich die revolutionären Ideale „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“) und die Staatsangehörigkeit miteinander verbunden sind.

Der Nationalstaat nach französischem Vorbild versprach gleichberechtigte politische Teilhabe. In der Praxis wurde und wird diese Gleichberechtigung allerdings nicht gewährleistet: Zum Zeitpunkt der Gründung war gleichberechtigte Bürgerschaft Frauen, Landlosen, TagelöhnerInnen und den meisten BewohnerInnen der französischen Kolonien verwehrt. Charakteristisch für die Entstehung und Dynamik des modernen Nationbegriffs ist, dass er den in der Gemeinschaft Nation zusammengeschlossenen Menschen politische Macht oder zumindest eine gewisse Teilhabe in Aussicht stellt – und wer möchte dann nicht dazugehören? So fordern z.B. eingewanderte ArbeiterInnen in der USA mit dem Slogan „We are part of the american dream“ Rechte ein.

Kulturnation

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich vor allem in Italien, Mitteleuropa und Teilen Osteuropas ein Nationenbegriff, der „kulturelle Gemeinsamkeit“ zum maßgeblichen Zugehörigkeitskriterium macht. Mit der Betonung kultureller und sprachlicher Gemeinsamkeiten erhielt der Begriff Nation eine stark naturalisierte, irrational-völkische Prägung. Die zentralen Kriterien einer Kulturnation, nämlich Abstammung und Sprache, gelten als schicksalhaft bestimmt durch Natur und Geschichte. Sprachgruppen, die noch über keinen Staat verfügten, wie beispielsweise Italiener oder Deutsche im 19. oder Polen im 20. Jahrhundert, begründeten die Forderung nach der Nationalstaatsgründung mit dem Vorhandensein ethnischer, kultureller und sprachlicher Gemeinsamkeiten.

Die deutsche Nationalbewegung war Ende des 18. Jahrhunderts – als es noch keinen eigenen Nationalstaat gab – vor allem eine bildungsbürgerliche. Während anfangs noch Stimmen im Vordergrund standen, die sich gegen die ständische und klerikale Gesellschaftsform wandten und eine Demokratisierung forderten, wurde im Lauf der Zeit ein romantisch-verklärter Nationenbegriff populär. Er fußte auf der Annahme, es gäbe einen Volkscharakter, der maßgeblich durch Sprache geprägt würde. Sprache und andere kulturelle Eigenschaften wurden dabei als statisch begriffen. Neben der Idee der Abstammungsgemeinschaft auf der Grundlage gemeinsamen Blutes wurde eine besondere Beziehung zwischen Volk und Territorium angenommen (Blut- und Bodenideologie). Gerade die Feindschaft gegenüber Frankreich trug maßgeblich dazu bei, dass sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein spezifisch deutsches Nationalbewusstsein entwickelte, das sich stark über Abgrenzung und Hass zu dem „Erbfeind“ Frankreich definierte. Der deutsche Begriff der Nation sollte der Idee der französischen Nation einerseits entsprechen und ihr zugleich widersprechen. Ein der französischen Revolution entsprechender Gründungsakt, auf den sich die Vorstellung von einem deutschen Volk zurückführen ließe, fehlte in Deutschland. An seiner Stelle verstand man das deutsche Volk als naturgegebene Einheit, die sich auch über ihre Abgrenzbarkeit von „Fremdem“ definierte. Während die Franzosen für diese Abgrenzung das äußere Feindbild abgaben, galten die Juden als innere Feinde. Man selbst sah sich hingegen als Gemeinschaft, der gar etwas Gottgegebenes und Erhabenes anhaftete, als menschlich vollkommenes „Urvolk“.

Vom Nationalstaat zur Nation …

Die Identifikation der BewohnerInnen mit dem Nationalstaat versteht sich nicht von selbst. Nationale Rituale, Mythen (X aktivität – Arbeit am Mythos. Der Langemarck-Mythos. c.6, seite 279) und die faktische Existenz des Nationalstaats vermitteln dem Einzelnen den Gedanken, die beschworene Gemeinschaft müsse auch bei ihm eine nationale Identität hervorbringen. Zu diesem Zweck werden Nationalhymnen komponiert, Landesfahnen entworfen, Denkmäler gebaut, Sprachen zu Amtssprachen erklärt und nationale Wirtschaftsinteressen formuliert. Nationale Rituale und Symbole dienen den politischen, geistigen und wirtschaftlichen Eliten, um sich den Rückhalt in der Bevölkerung zu sichern. Eine besondere Rolle spielen und spielten immer wieder Sprachwissenschaftler, Dichter und Schriftsteller: „Sie schufen eine Literatur in der nationalen Sprache, die ihrerseits vielfach erst als Literatur- und Umgangssprache neu gestaltet werden musste“ (Alter 1985, S. 67 f.).

Auch Kriege haben neben politischen und ökonomischen Interessen die Funktion, die innere Einheit über die Abgrenzung nach außen zu stärken. Fremdbilder gesteigert bis zu Feindbildern, sind integraler Bestandteil von Nationenbildung. Kriegerische Auseinandersetzungen und Heldenkult stehen häufig im Zentrum nationaler Geschichtsdeutung und Mythenbildung. „Es gibt keine fesselnderen Symbole für die moderne Kultur des Nationalismus als die Ehrenmäler und Gräber der Unbekannten Soldaten. Die öffentlichen Reverenzen, die diesen Denkmälern gerade deshalb erwiesen wurden, weil sie entweder leer sind oder niemand weiß, wer darin bestattet ist, haben keine Vorläufer in früheren Zeiten“ (Anderson 1996, S. 18).

… oder von der Nation zum Nationalstaat?

Politische Nationalbewegungen und die ökonomischen Sachzwänge der kapitalistischen Entwicklung beförderten die Gründung zahlreicher neuer Staaten rund um das 19. Jahrhundert. Fast jeder Staat, der ab dem späten 19. Jahrhundert gegründet wurde, nannte sich Nation – und jede Bevölkerungsgruppe, die Anspruch auf ein eigenes Staatsterritorium erhob, begründete dies damit, eine Nation zu sein. Ökonomisch behinderte die deutsche Kleinstaaterei mit ihrem komplizierten Münz-, Zoll- und Mautwesen schon lange die weitere Entwicklung einer kapitalistischen Wirtschaft. Kriterien wie gemeinsame Sprache oder Religion, ethnische Zugehörigkeit oder gemeinsame geschichtliche Bezüge dienten nun als Begründung für einen vereinigten Nationalstaat.

Die neu gezogenen Grenzen verliefen nie sauber entlang der jeweiligen Vorstellungen nationaler Identität. So bedrohte beispielsweise der deutsche Nationalismus, der seinen Anspruch auf Expansion nach dem Motto Ernst-Moritz-Arndts „soweit die deutsche Zunge klingt“ geltend machen wollte, massiv die Interessen seiner Nachbarstaaten mit einer militärischen Expansionspolitik zur Befreiung deutscher Minderheiten. Tatsächlich klang aber auch in weiten Teilen des Deutschen Bundes nicht nur die „deutsche Zunge“, sondern es lebten ebenso viele anderssprachige Menschen dort.

Die permanente Erschaffung einer gedachten Gemeinschaft

Ob sprachlich, kulturell, religiös, ethnisch oder territorial begründet, alle Nationsformen haben einen zentralen Punkt gemeinsam: Nation ist als Staats- und Gesellschaftsform oberste Legitimations- und Ordnungsidee. Eine Idee, zu der Menschen sich und ihr Leben in Bezug setzen. Damit wird sie gleichzeitig zum sinnstiftenden Wert, einem Wert, mit dem man sich scheinbar bedingungslos identifizieren kann, auch bis zum Krieg. Charakteristisch für jede Nation war und ist, dass sie sich durch Abgrenzung nach außen und Homogenisierung nach innen festigt. Eine Vereinheitlichung, die fast immer gewaltsam verlief, da keine größere Menschengruppe homogen ist, sondern dies selbst erst über die Abgrenzung nach innen und außen versucht herzustellen. Völkischer Nationalismus geht dabei mit Rassismus Hand in Hand. Die Konstruktion von „Rassen“ und die Annahme von Unterschieden ist dabei notwendige Bedingung für die Vorstellung von einer homogenen nationalen Identität (vgl. Hardt / Negri 2002, S. 117). Und diese als einheitlich gedachte Gemeinschaft muss innere Widersprüche wie reale Hierarchien und Ausbeutungsverhältnisse klassenübergreifend durch die Beschwörung gemeinsamer Interessen miteinander verbinden.

Ein Grund für die Langlebigkeit der Idee der Nation ist ihre Undefinierbarkeit. Zu verschiedenen Zeiten wurde sie mit ganz unterschiedlichen Inhalten und Bezügen gefüllt, die sich kaum überprüfen und widerlegen lassen. Vor allem aber lassen sich mit der Idee der Nation ganze Gruppen nahezu beliebig ein- und ausschließen, privilegieren und benachteiligen.

Das Bedürfnis von Menschen nach Zugehörigkeit, Sicherheit und Gemeinschaftsgefühl macht den Begriff der Nation zum idealen Mittel der Festigung von Herrschaft, denn Nationen sind „Doppelphänomene, im wesentlichen zwar von oben konstruiert, doch nicht richtig zu verstehen, wenn sie nicht auch von unten analysiert werden, d.h. vor dem Hintergrund der Annahmen, Hoffnungen, Bedürfnisse, Sehnsüchte und Interessen der kleinen Leute, die nicht unbedingt national und noch weniger nationalistisch sind“ (Hobsbawm 1996, S. 21 f.).

Die Wirksamkeit des Nationalismus

„Nationalismus liegt dann vor, wenn die Nation die gesellschaftliche Großgruppe ist, der sich der einzelne in erster Linie zugehörig fühlt, und wenn die emotionale Bindung an die Nation und die Loyalität ihr gegenüber in der Skala der Bindungen und Loyalitäten oben steht.“ (Alter 1985, S. 14)

Nationalismus ist eine „Ideologie und / oder soziale Bewegung, die territorial und wertorientiert auf die Nation bzw. den Nationalstaat ausgerichtet ist und eine bewusste Identifikation und Solidarisierung mit der nationalen Gemeinschaft voraussetzt.“ (Nohlen/Schultze 2002, S. 561)

Nationalismus ist das Mittel, um die Nation zu mobilisieren, um sie nach innen zu stabilisieren und nach außen zu legitimieren. Nationalismus ist dabei stets in der Lage, vorhandene gegensätzliche gesellschaftliche Interessen zu verkleistern und stattdessen – als eine Art Kitt-Ideologie – gemeinsame (nationale) Interessen in den Vordergrund zu stellen.

Zur Stärkung der nationalen Identität über die Konstruktion von (zumeist rassistischen) Feindbildern und durch territoriale Kämpfe gehen Gewalt und Kriege mit Nationalismus immer Hand in Hand. Jede Nation glaubt dabei, das Recht auf ihrer Seite zu haben. Beispielhaft hierfür steht der Kolonialismus, in dem Europäer und Europäerinnen sich über andere Menschen stellten und ihre rassistische Besetzungspolitik entweder damit begründeten, die anderen seien ja keine „richtigen“ Menschen, oder sich selbst als die überlegene Nation darstellten.

Beispielhaft hierfür steht auch der „deutsche Sonderweg“ mit seiner rassistischen und antisemitischen Ideologie und seinem vernichtenden Großmachtstreben. Er gipfelte in millionenfachem Mord für das Vaterland. Als starke integrative und mobilisierende Kraft prägte der Nationalismus die politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts entscheidend. Für viele ist Patriotismus und Nationalismus dabei untrennbar verknüpft mit Deutschlands Griff nach der Weltmacht und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Andere wiederum träumen von neuer Größe. Aber auch unter denjenigen, die grundsätzliche Bedenken gegen nationalistische Politik haben, gibt es einen Widerstreit darüber, ob Nationalismus immer abzulehnen ist, oder ob er als Mittel „für einen guten Zweck“ eingesetzt werden darf. Einige sehen Nationalismus als Mittel, um sich gegen eine herrschende Gruppe durchzusetzen, um sich aus kapitalistischen und kolonialistischen Unterdrückungsverhältnissen zu befreien. Warnenden Stimmen wie der von Rosa Luxemburg, die vor nationalistischen Spaltungen innerhalb der internationalen Arbeiterklasse warnte, stand das von Lenin postulierte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ gegenüber, das noch heute die Diskussionen um nationale Befreiung bestimmt. Da Nationalismus andere bestehende Widersprüche überdeckt, entstehen Probleme mit einem „Nationalismus als Mittel zum Zweck“ spätestens dann, wenn vormals unterdrückte Bevölkerungsgruppen Macht erlangen. Die neu gewonnene Gemeinschaft errichtet innere und äußere Herrschaftsstrukturen, was wiederum neue Ein- und Ausgrenzungen erfordert.

Die Bedeutung von Nation und Nationalismus für deutsche Politik heute

Dass Nationalismus Schnee von gestern sei, kann man angesichts aktueller Äußerungen von PolitikerInnen nicht behaupten. Jürgen Rüttgers (CDU) steht mit seinem berühmt-berüchtigten Satz „Kinder statt Inder“ nicht allein. Auch Otto Schily (SPD), „die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht“, und Gerhard Schröder (SPD), „Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell“, äußern sich auf eine Weise, die bis weit in die 80er hinein der extremen Rechten vorbehalten war oder nur unter vorgehaltener Hand geäußert wurde. Diese Zurückhaltung war keine abstrakte Einsicht, sondern die sehr konkrete Erfahrung mit dem deutschen (NS-)Nationalismus, die den allzu offenen Rückgriff auf nationale Ideologie in Deutschland aus guten Gründen zum Problem machte. Dieser kritische Blick ist jedoch im Laufe der 80er Jahre und insbesondere seit der „Wiedervereinigung“ immer schwächer geworden. Anfang des 21. Jahrhunderts ist die deutsche Nation wieder selbstbewusst in aller Munde. Deutsche Soldaten werden wieder in alle Welt geschickt, und deutsche Leitkultur wird zum Maßstab des Zusammenlebens im Land erhoben.

Aber nicht nur laute Sprüche wie „ich bin stolz, Deutsche/r zu sein“ sind nationalistisch. Nationale Töne bestimmen unseren Alltag: Ob im Standortstreit oder beim Heimatfest, ob mit der Nützlichkeitsklausel im Zuwanderungsgesetz oder im Ausschluss von Ausländern bei Wahlen.

Wie geht es weiter – „Nation Europa“?

Trotz dieser „nationalistischen Renaissance“ nicht nur in Deutschland wird im Hinblick auf die Europäische Union (EU) immer öfter die Frage gestellt, ob der souveräne Nationalstaat im Zeitalter der kapitalistischen Globalisierung noch ein zeitgemäßes Staatsmodell ist. So wird diskutiert, ob und wie viel Souveränität die Nationalstaaten an supranationale Organisationen abgeben könnten und welche Modelle europäischer Staatenbildung (Vereinigte Staaten von Europa?) denkbar sind. Eine europäische Verfassung ist mittlerweile in Arbeit.

In Ermangelung einer gemeinsamen Sprache oder anderer Gemeinsamkeiten wird intensiv nach anderen Kriterien gesucht, die eine „europäische Identität“ begründen können: eine gemeinsame Politik, europäische Interessenlagen in Abgrenzung zu den USA, oder auch eine europäische Kultur und Geschichte, wobei nicht ganz klar ist, welche gemeinsamen historischen Wurzeln beispielsweise Südspanien und Finnland wirklich haben. Während die Identitätsfindung nach innen noch Probleme bereitet, funktioniert die Abgrenzung nach außen bereits: Wer zur Festung Europa gehört oder gehören soll und wer nicht, zeigt sich an der Abschottung der EU-Außengrenzen, wo zum Beispiel im Süden die Straße von Gibraltar mit Infrarotkameras überwacht wird, um Flüchtlinge an der Einreise zu hindern. Das nationalistische Prinzip der Abgrenzung – die Schaffung eines „Wir“ im Gegensatz zum „Ihr“ – funktioniert vielleicht auch hier.

Literatur:
Alter, Peter (1985): Nationalismus. Suhrkamp, Frankfurt am Main. Anderson, Benedict (1996): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Bonn.
Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.) (1998): Nation, Nationalismus, Nationale Identität. Reihe „Kontrovers“. Bonn.
F.A. Brockhaus (2003): Der große Brockhaus in einem Band. Leipzig/Mannheim.
Hardt, Michael / Negri, Antonio (2002): Empire. Die neue Weltordnung. Campus Verlag, Frankfurt / New York.
Hobsbawm, Eric J (1996): Nation und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. dtv, München.
Nohlen, Dieter / Schultze, Rainer-Olaf (Hg.) (2002): Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien, Methoden, Begriffe. Band 2. C.H. Beck, München.

Was heißt hier deutsch?

Geschichtlich stammen die Deutschen von mindestens fünf sehr unterschiedlichen germanischen Stämmen ab – Franken, Sachsen, Alemannen, Lothringer und Bayern. Die Preußen, Inbegriff deutscher Zucht und Ordnung, sind keine Germanen, sondern ein baltisches Volk, also eigentlich Ausländer. Und auch die urgermanischen Stämme sind nicht lupenrein deutsch. Die Sachsen zum Beispiel vermischten sich auf ihrem Weg nach Osten mit den Slawen. Wer Deutscher ist, lässt sich, historisch gesehen, grundsätzlich nicht so genau sagen …

Ein Viertel aller Wörter im Deutschen sind ausländischen Ursprungs. So ist das Auto zwar eine deutsche Erfindung, das Wort „Automobil“ ist aber halb Latein, halb Griechisch. Das Bier, ein urdeutsches Getränk, haben dagegen nicht die Deutschen erfunden, sondern die Sumerer im vorderen Orient.

Die Kehrwoche, Symbol schwäbischen Ordnungssinns, kam unter Napoleon auf, als die württembergische Verwaltung nach französischem Vorbild umorganisiert wurde. Den Fußball haben ebenfalls die Franzosen erfunden und zwar im 12. Jahrhundert.

Quelle: Nach „Heimat in Deutschland“

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