Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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Thema: Arbeit global
Dynamisch, flexibel und verwertbar Die perfekte Erziehung des Lohnarbeiters Um die Veränderungen in den Arbeitsverhältnissen der letzten Jahre einordnen zu können, muss man sich die Entstehung und Entwicklung unserer Arbeitsgesellschaft seit der Renaissance und besonders seit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert vor Augen führen. Denn „was wir heute Arbeit nennen, ist eine Erfindung der Moderne“ (Gortz). Diese Erfindung geht einher mit einer umfassenden Anpassung der lohnabhängig Beschäftigten an die Erfordernisse der kapitalistischen Produktionsweise. Am Beispiel England lässt sich beobachten, was später überall in Europa stattfand: Das Aufblühen der Wollmanufakturen und das Steigen der Wollpreise führte im England des 16. Jahrhunderts dazu, dass Ackerland massenhaft in Weideland für Schafe verwandelt wurde. Schafzucht war – für die Herrschenden – gewinnbringender. Die Bauern wurden von den Feudalherren von ihrem Land vertrieben und waren somit ihrer Lebensgrundlage beraubt. Mit einer Vielzahl von Gesetzen wurde die kleinbäuerliche Produktionsweise zusätzlich erschwert. Konnten sich die Bauern vormals von ihrem Land selbst und gut ernähren, blieb vielen jetzt nur noch die Schinderei in der Manufaktur zu niedrigsten Löhnen oder der Abstieg in die völlige Armut. Am Anfang stand sowohl die massenhafte Vertreibung der Bauern von ihrem Land als auch der physische Zwang zur Arbeit: In Arbeitshäusern wurden diejenigen, die in der Folge der neuen Produktionsweise und der mangelnden Möglichkeit der Selbstversorgung verarmt waren, zum Arbeiten gezwungen. Aber die Anpassung an die moderne Lohnarbeitsgesellschaft sollte noch eine Weile dauern: Denn trotz solcher Disziplinierungsmaßnahmen wären die ArbeiterInnen noch am Ende des 18. Jahrhunderts kaum auf die Idee gekommen, ihre Anstrengungen zu steigern oder den Arbeitstag zu verlängern, nur um mehr zu verdienen. „Der Widerwillen der Arbeiter […] war die Hauptursache für den Bankrott der ersten Firmen“ (Gortz 1989, S. 39) Nur indem Löhne auf ein Minimum reduziert wurden, mit Arbeitszwang oder Gesetzen gegen Herumtreiber konnten ausreichend viele ArbeiterInnen für die Fabrikproduktion rekrutiert werden. Das änderte sich erst, als die Lohnabhängigen zugleich zu guten Konsumenten erzogen waren, die den Lohn ihrer Arbeit als Hauptziel ansahen und Waren als lohnende Ziele und Erfolgssymbole begehrten. Das setzte voraus, dass Arbeiter es vorziehen mehr zu verdienen anstatt weniger zu arbeiten. „Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass ein Arbeiter, der seine Lebenserfordernisse mit drei von sieben Wochentagen Arbeit bestreiten kann, sich für den Rest der Woche dem Müßiggang und der Trunksucht hingeben wird. Die Armen werden niemals eine größere Anzahl von Stunden arbeiten, als sie müssen, um sich ernähren zu können. Wir können furchtlos sagen, daß eine Minderung der Löhne in der Manufaktur eine Segnung und eine Wohltat für die Nation sein und den Armen keinen wirklichen Schaden zufügen wird“
Anfang des 20. Jahrhunderts war mit dem Siegeszug der so genannten „wissenschaftlichen Betriebsführung“ eine neue Stufe in der Entwicklung der Produktion erreicht: Die Abläufe der Produktion sollten nicht länger dem Zufall und dem Gutdünken des einzelnen Handwerkers überlassen werden. Jeder Schritt der Produktion, jede Handbewegung der Arbeiter sollte in Zukunft „wissenschaftlichen“ Kriterien genügen und nach Kriterien der Effizienz optimiert werden. Was heute unter dem Namen Taylorismus (nach Frederick Taylor) bekannt ist, bedeutete die radikale Umgestaltung der Betriebe. Die Handwerker und Arbeiter verloren ihre Autonomie und wurden gezwungen, ihre Tätigkeit komplett dem Regime einer „wissenschaftlichen Leitung“ zu unterwerfen. Das beinhaltete die Art und Weise, wie Arbeiten auszuführen sind genauso wie Arbeitsgeschwindigkeit, das Einhalten von Pausen und nicht zuletzt auch die Personalauswahl. Henri Ford war mit seiner Automobilfabrik Anfang des 20. Jhd. schließlich derjenige, der die Fließbandarbeit einführte und dadurch die Massenproduktion für den Massenkonsum perfektionierte. Sein Name steht für die Ära des Fordismus, die bis in die 60er und 70er Jahre des 20. Jhd. andauerte und durch Wirtschaftswachstum zunehmende soziale Sicherheit, aber auch durch eine verstärkte Unterordnung der ArbeiterInnen unter die Anforderungen der Produktion geprägt war. Neue Produktionsformen erforderten immer neue Formen der Arbeitsorganisation und der Arbeitsverhältnisse – mit weitreichenden Folgen für die Beschäftigten. Mit der weiteren Automatisierung ab den 50er Jahren, die einen Großteil der Fließbandarbeit nach und nach überflüssig machte, entstanden wiederum neue Formen der Arbeitsorganisation. Man entdeckte das Potential von sozialen Beziehungen im Produktionsprozess, von Kreativität und Eigenverantwortlichkeit der ArbeitnehmerInnen. Ab den 60er Jahren wurden die damit verbundenen Veränderungen mit dem Schlagwort „Humanisierung“ der Arbeitswelt bezeichnet. Was vordergründig und als positiver Nebeneffekt eine menschenfreundlichere Arbeitsweise bedeutete – denken wir z. B. an weniger Fließbandarbeit, mehr Teamarbeit, flexible Arbeitszeiten, beinhaltete jedoch immer eine erneute Steigerung der Arbeitsproduktivität unter veränderten Produktionsbedingungen. Blicken wir auf die Geschichte der (Erwerbs-)Arbeit zurück, verwandelte sie sich im Laufe dieser langen Entwicklung von einer Tätigkeit zur Erfüllung (notwendiger und wünschenswerter) menschlicher Bedürfnisse zu einem Wert an sich, an dem sich das gesamte öffentliche Leben und die persönliche Identität orientiert. Im 20. Jahrhundert gelang geradezu eine perfekte Anpassung des Einzelnen an die Arbeitsverhältnisse und -bedingungen. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte machen dies noch einmal besonders deutlich: Just in Time-Produktion, Ausgliederung von Produktionsbereichen in private Unternehmen oder durch Scheinselbständigkeit, elektronische Medien und ihre Möglichkeiten wie Telearbeit oder eine verbesserte Überwachung machen eine weitere Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen möglich. Warum soll ein Arbeitnehmer eigentlich ständig in einem Unternehmen angestellt sein, wenn es Zeiten gibt, in denen er nicht „ausgelastet“ ist? Die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen, ständig steigende Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten, zunehmender Stress und Arbeitsplatzunsicherheit stoßen kaum auf Widerstand der Beschäftigten sondern werden sogar von vielen noch positiv als Gewinn an „Freiheit“ und „Eigenverantwortlichkeit“ gedeutet. Erwerbslosigkeit dagegen – obwohl die Betroffenen ihr Schicksal mit weltweit 180 Millionen (ILO 2002) anderen teilen – gilt als persönliches Scheitern. Seit Beginn der Industrialisierung wirkten immer folgende Mechanismen, um ideale Möglichkeiten der Kapitalverwertung zu ermöglichen:
Zur WeiterarbeitDie gesellschaftlichen Umbrüche im Frühkapitalismus und die mit ihnen verbundenen Zwangsmaßnahmen haben enge Parallelen zu der Art, wie in den europäischen Kolonien Arbeitskräfte rekrutiert und ausgebeutet wurden. Hinweise dazu finden sich im KAPITEL C.3, RASSISMUS ALS GESELLSCH. VERHäLTNIS . Zum WeiterlesenKurz, Robert (1999): Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, Frankfurt a. M.: Eichborn.
Literatur:
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