Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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C.9

Thema: Arbeit global
PLANUNGSHILFE

C.9 Thema: Arbeit global; Planungshilfe

Arbeit und Arbeitswelt

Die soziale Integration, die finanzielle Absicherung und oft auch der Lebenssinn der Einzelnen orientieren sich in unserer Gesellschaft an der Erwerbsarbeit. Zugleich steckt die Arbeitsgesellschaft in der Krise: Während soziale Absicherungen Stück für Stück abgebaut werden, Arbeitsverhältnisse immer unsicherer und flexibler werden, steigt die Zahl der Erwerbslosen auf hohem Niveau.

In dieser widerspruchsvollen Situation kristallisieren sich viele gesellschaftliche Fragen und Konflikte am Thema Arbeit. Das betrifft die Fragen nach der Zukunft sozialer Sicherungssysteme, der zukünftigen Verteilung von Arbeit und dem Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit und Einkommen genauso wie die Diskriminierung von MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt oder die Diskussion um Einwanderung.

Oft werden dabei gesellschaftliche Probleme durch einfache Muster erklärt. Nicht mehr die Widersprüchlichkeit und Krise des gesamten Systems wird wahrgenommen, sondern die Probleme werden im Verhalten einzelner Personen oder Personengruppen gesehen („AusländerInnen“, „Sozialschmarotzer“).

Der Druck auf ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen nimmt kontinuierlich zu. Der Druck auf Erwerbslose wächst, weil sie oft finanziell schlecht abgesichert sind, weil sie Druck und Leistungskürzungen des Arbeitsamtes unterliegen und weil sie gezwungen werden, zu jedem Preis Arbeit zu suchen. Die Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse steigt: Immer mehr Menschen haben trotz Erwerbsarbeit kein ausreichendes Einkommen, müssen mehrere Mini-Jobs parallel machen und sind weder sozialversichert, noch haben sie grundlegende Rechte als ArbeitnehmerInnen. Mitten in der Krise der Arbeitsgesellschaft wird das knappe „Gut“ Arbeit zum wichtigsten Gradmesser gesellschaftlicher Integration gemacht. Unter solchen Bedingungen ist jede und jeder potentiell KonkurrentIn eines jeden. Wer nicht gewinnt, bleibt auf der Strecke. Wer keine Arbeit hat, wird verdächtigt, auf Kosten anderer zu leben.

Dabei trägt jeder, der nicht auf Teufel-komm-raus Arbeit sucht und Zeiten von Arbeitslosigkeit in Kauf nimmt, statt sich zu jeden Bedingungen zu verkaufen, dazu bei, dass Lohndumping und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen nicht beliebig ausgeweitet werden können. Einerseits hat diese Gesellschaft mit Massenarbeitslosigkeit zu kämpfen, andererseits darf das Dogma, alle Menschen müssten arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern und glücklich zu sein, nicht angetastet werden.

Zugleich werden alle gesellschaftlichen Sphären danach befragt, wieweit sie ökonomisch nützlich sind: Bildung ist nur legitim, wenn sie die Verwertbarkeit des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt erhöht, Kultur wird zum Standortvorteil und Migration ist nur dort erwünscht, wo ein Mangel an überdurchschnittlich qualifizierten ExpertInnen oder ein schneller Bedarf an Arbeitskräften besteht. Der bayerische Innenminister Beckstein brachte das mit dem zynischen Ausspruch „wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen“, unverblümt auf den Punkt.

In ähnlicher Weise, wie ein Interessenkonflikt zwischen ErwerbsarbeiterInnen und Erwerbslosen in die Gesellschaft hineingetragen wird, wird ein Interessengegensatz zwischen „deutschen“ und „ausländischen“ ArbeitnehmerInnen konstruiert. Mit rassistischen Stereotypen über die „Arbeitsmoral“ von MigrantInnen wird der eigene „Wert“ (von Mitgliedern der deutschen Mehrheitsgesellschaft) auf dem Arbeitsmarkt verteidigt. Je nach Argumentation nehmen MigrantInnen dann den „Deutschen“ die Arbeitsplätze weg bzw. liegen ihnen auf der Tasche, weil sie „doch gar nicht arbeiten wollen“.

Ziele

Die Widersprüche, in denen sich die Arbeitsgesellschaft befindet, sind anschlussfähig für rassistische, antisemitische und nationalistische Argumentationen, für Diskriminierung und Ausgrenzung. Gerade diese Themen müssen in Seminaren bearbeitet werden.

Die Widersprüchlichkeit der Realität und die scheinbare Ausweglosigkeit aus der Arbeitsgesellschaft führen leicht dazu, dass bei einer verkürzten Betrachtung Ausgrenzungsideologien gestärkt werden. Erwerbslosigkeit und Armut werden individualisiert, das vermeintliche „Recht des Stärkeren“ wird salonfähig: wer nicht arbeitet soll auch nicht essen, jedenfalls nicht mehr, als er zum nackten Überleben braucht.

MigrantInnen sind darüber hinaus direkt von den Auswirkungen einer sich verändernden Arbeitsgesellschaft betroffen: Flexibilisierung, unsichere Arbeitsverhältnisse, Lohnkürzungen treffen als erste diejenigen in der schwächsten Machtposition. MigrantInnen sind überdurchschnittlich häufig von Erwerbslosigkeit betroffen ( ARBEITSPAPIERSolidarität im Betrieb in Zeiten der Globalisierung. C.9, Seite 399 ), arbeiten zu geringeren Löhnen und haben aufgrund einer diskriminierenden Praxis die schlechteren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Da für viele die Aufenthaltsgenehmigung an eine Arbeitsstelle gekoppelt ist, sind sie hilfloser, sich gegen Ausbeutung zu wehren. Umso wichtiger ist es, in der Bildungsarbeit nach solidarischen Handlungsmöglichkeiten zu suchen.

Was & Wie? Inhalte und Methoden

Arbeitsgesellschaft und Sozialstaat. Im ersten Teil setzen wir uns kritisch mit der Arbeitsgesellschaft, mit Erwerbslosigkeit und sozialer Sicherheit auseinander.

Zunächst geht es um die historischen und ideologischen Grundlagen der Arbeitsgesellschaft:

Der HINTERGRUNDArbeit um jeden Preis. C.9, –CD ist sowohl für TeamerInnen als auch für TeilnehmerInnen gedacht.

Das ARBEITSPAPIERDie Befreiung von der Arbeit. C.9, –CD setzt sich kritisch mit den „Segnungen“ der modernen Arbeitsverhältnisse auseinander und zeigt, dass die Errungenschaften der Moderne nicht bedeuteten, dass die Menschen sich das Leben immer leichter machen konnten.

Ebenfalls im HINTERGRUNDArbeit um jeden Preis. C.9, –CD wird die unterschiedliche Interessenlage von Erwerbslosen und ArbeitnehmerInnen sowie der Unternehmen angesprochen und das „Dogma Arbeit“ in Frage gestellt.

Das ARBEITSPAPIERDynamisch, flexibel und verwertbar. C.9, Seite 385 rekonstruiert die historische Anpassung und Disziplinierung der Menschen an die kapitalistische Arbeitsgesellschaft.

Die aktuellen „Umstrukturierungen“ der Sozialsysteme und die Repressionen gegen Erwerbslose und EmpfängerInnen staatlicher Leistungen werden im ARBEITSPAPIERArbeitszwang. C.9, –CD behandelt.

Das ARBEITSPAPIERNimm Platz! Mach Dich "Fit for Job". C.9, Seite 394 setzt sich ironisch mit den Zumutungen auseinander.

Das ARBEITSPAPIERStrangulation im Call Center. C.9, Seite 392 zeigt die Folgen von prekären und hoch flexibilisierten Arbeitsplätzen.

In der Jugendbildung findet eine Beschäftigung mit dem Thema Arbeit vor allem im Rahmen der „Berufsorientierung“ statt. Jugendliche sollen „fit“ gemacht werden für den Kampf um Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Eine gesellschaftliche Perspektive auf die Probleme wird dabei oft ausgeblendet.

Wir plädieren dafür, auch und gerade mit Jugendlichen einen gesellschaftskritischen Blick auf dieses Thema zu wagen. Die Basis dafür ist, dass die eigene Situation und die von anderen (beispielsweise keine oder nicht die gewünschte Lehrstelle zu bekommen, keinen Job zu haben etc.) nicht als individuelles Versagen interpretiert, sondern gesehen wird, dass es vielen so geht. Eine solche Betrachtungsweise kann den Druck mildern, zum politischen Handeln motivieren und zeigen, dass Erwerbsarbeit nicht alles im Leben ist.

Als Einstieg kann dabei die Frage „was ist eigentlich Arbeit?“ gestellt werden:

Ebenfalls als Einstieg in eine Diskussion kann METHODEMeinungsbarometer. B.6, Seite 145 dienen. Wir empfehlen auch eine biografische Herangehensweise an das Thema. Im Seminar können wir die Konkurrenzsituation in der Schule, im Betrieb und bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche thematisieren und die Strukturen und Widersprüche der Arbeitsgesellschaft erforschen. Wahrzunehmen, dass gegen Arbeitslosigkeit und Leistungsdruck keine einfachen Rezepte helfen, beugt vereinfachenden rassistischen Interpretationen vor.

Zur Thematisierung von Konkurrenz ist die AKTIVITÄTDas Schokoladenspiel — Hmmm. B.3, Seite 58 geeignet.

Im ARBEITSPAPIEREine Eins in Deutsch reicht nicht. C.10, –CD geht es um die Diskriminierung von MigrantInnen bei der Ausbildungsplatzsuche.

Ebenso wichtig wie die Analyse und die Kritik der bestehenden Arbeitsgesellschaft ist die Entwicklung von Gegenentwürfen und Utopien – auf individueller und auf gesellschaftlicher Ebene. Gerade, weil die Handlungsmöglichkeiten für die/den Einzelne/n begrenzt sind, ist es wichtig, kollektive Auswege aus der Sackgasse der Lohnarbeitsgesellschaft zu diskutieren.

Anregungen dazu geben der Text Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral von Heinrich Böll (aufgrund von Urheberrechten leider nicht im Baustein; das Buch mit dem einseitigen Text kann beim BWT ausgeliehen werden) und ARBEITSPAPIERArbeiten in Amberland. C.9, –CD .

Diskriminierungen in Arbeitsverhältnissen und auf dem Arbeitsmarkt. MigrantInnen sind auf dem Arbeitsmarkt zusätzlich zur Konkurrenz „aller gegen alle“ in mehrfacher Hinsicht benachteiligt und Diskriminierungen unterworfen. Diskriminierung – d.h. Benachteiligung gegenüber Mitgliedern der deutschen Mehrheitsgesellschaft – findet sowohl in der rechtlichen Schlechterstellung von MigrantInnen ihren Ausdruck, wie auch in sozialen Verhältnissen in den Betrieben: MigrantInnen arbeiten häufig zu schlechteren Bedingungen, zu geringeren Löhnen, haben geringere Aufstiegschancen, sind häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen und oft individuellen Diskriminierungen am Arbeitsplatz ausgesetzt.

Dies zu benennen und in den Diskussionen um Arbeit und Arbeitslosigkeit mit zu berücksichtigen, gehört zum grundlegenden Anspruch einer nicht-rassistischen Bildungsarbeit.

Die Materialien zu diesem Themenkomplex sind im Baustein in mehreren Kapiteln zu finden. Neben den Materialien in diesem Teil finden sich auch in KAPITEL C.10, DISKRIMINIERUNG und Texte zu verwandten Themen.

Vielfach sind Diskriminierungen nicht zu erkennen, weil sie als gegeben und unveränderbar wahrgenommen werden. Zum Einstieg kann es daher sinnvoll sein, für die ungleiche Strukturierung des Arbeitsmarktes zu sensibilisieren.

Dazu ist die AKTIVITÄTWer macht welche Arbeit?. C.9, Seite 396 gedacht, die sowohl auf die Erfahrungen der TeilnehmerInnen zurückgreift, als auch Informationen über die Ungleichverteilung von MigrantInnen und Frauen / Männern in verschiedenen Branchen liefert.

Im KAPITEL C.10, DISKRIMINIERUNG findet sich das ARBEITSPAPIERDiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. C.10, Seite 416 .

Viele SeminarteilnehmerInnen stehen selbst in Arbeitsverhältnissen, in denen Diskriminierungen direkt oder indirekt stattfinden. In fast jedem Betrieb sind rassistische Hierarchien und Arbeitsteilung sichtbar, wenn mensch erst einmal einen Blick dafür entwickelt: Wer arbeitet in welcher Abteilung, wer steigt wie schnell auf, wie sehen Einstellungspraktiken aus?

Der Text von Nihat Öztürk ARBEITSPAPIERChancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt?. C.9, –CD und ein Auszug dieses Textes auf dem ARBEITSPAPIERSolidarität im Betrieb in Zeiten der Globalisierung. C.9, Seite 399 beschäftigen sich mit der betrieblichen Situation im Kontext globaler Ökonomie.

Das ARBEITSPAPIERUngleiche Arbeitsbedingungen für Flüchtlinge. C.9, Seite 401 gibt einen kurzen Überblick über die Situation von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt.

Das ARBEITSPAPIERDu kannst kein Geld verlangen, du bist illegal.... C.9, –CD illustriert dies mit einem Erfahrungsbericht einer Migrantin.

Das ARBEITSPAPIERMenschen ohne Papiere — rechtlos auf Arbeit?. C.9, Seite 402 befasst sich mit den Rechten von ArbeitnehmerInnen ohne Papiere.

Im Seminar können Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden, wie innerbetriebliche Diskriminierungen von MigrantInnen wahrgenommen und zur Sprache gebracht werden können: Welche Informationsrechte und Aktionsmöglichkeiten haben Personal- oder Betriebsräte, welche Handlungsmöglichkeiten gibt es für Betroffene und für andere ArbeitnehmerInnen? (siehe KAPITEL C.10, DISKRIMINIERUNG ).

Der Streik vornehmlich türkischer Arbeiter bei Ford 1973 ( ARBEITSPAPIERDer Fordstreik. C.9, –CD ) ist ein Beispiel für migrantischen Widerstand, an dem deutlich wird, dass die Bedingungen von deutschen und migrantischen ArbeitnehmerInnen nicht dieselben sind.

Die Frage nach der je eigenen Position innerhalb (auch) rassistisch strukturierter Hierarchien und Arbeitsteilung muss in Seminaren thematisiert werden, wenn es um die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt oder um Ausbildungsplätze geht und um die Einstellung oder Kündigung von MigrantInnen.

Dazu gibt es die AKTIVITÄTSemiha wird nicht übernommen?. C.10, Seite 418 .

Das ARBEITSPAPIERProletarier aller Länder unterbietet Euch?. C.9, Seite 387 zeigt die widersprüchliche Interessenlage zwischen in Deutschland lebenden ArbeitnehmerInnen und ausländischen PendlerInnen oder SaisonarbeiterInnen, die für geringere Löhne arbeiten.

Einen Zugang zum Thema Arbeitsmigration aus einem umgekehrten Blickwinkel ermöglicht das ARBEITSPAPIERDeutsche auf holländischen Baustellen. C.8, Seite 326 .

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
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