Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
www.baustein.dgb-bwt.de   DGB-Bildungswerk Thüringen e.V.

C.8

Thema: Migration
PLANUNGSHILFE

C.8 Thema: Migration; Planungshilfe

Migration und Flucht

„Alle Weltgeschichte ist im Kern Geschichte von Wanderungen“
Franz Oppenheimer, 1923

Ziele

Die Perspektive der MigrantInnen wird im Zusammenhang mit Rassismus selten thematisiert. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen meistens die Rassismus Ausübenden mit ihren Vorurteilen und „falschen“ Einstellungen. Wir gehen aber davon aus, dass sich Rassismus nicht nur auf der Ebene von individuellen Vorurteilen abspielt, sondern rassistische Ausgrenzung sich auch in Gesetzen, Chancenungleichheit und physischer Gewalt manifestiert. Betroffen davon sind Menschen, meistens MigrantInnen, in ihrem Alltag: wenn sie ihr Leben riskieren, um die deutsche Grenze zu überwinden; wenn sie auf der Hauptschule landen, weil ihnen nicht mehr zugetraut wird; wenn sie nicht wählen dürfen, weil sie keine deutschen StaatsbürgerInnen sind, wenn sie nicht medizinisch versorgt werden, weil sie sich „illegal“ hier aufhalten. Wir halten es für unentbehrlich, in antirassistischer Bildung auch ein Wissen über diese Beschränkungen des Lebens zu vermitteln. Es wird also Zeit, den ethnologischen Blick auf die Kultur von MigrantInnen durch einen Blick auf die Bedingungen des Lebens in der Migration einzutauschen. Anderenfalls sind auch viele Kämpfe von MigrantInnen nicht zu verstehen. Wenn man nicht weiß, dass MigrantInnen meistens auf den schlechteren Arbeitsplätzen landen, wird man ihren Protest gegen die Arbeitsbedingungen nicht verstehen ( ARBEITSPAPIERDer Fordstreik. C.9, –CD ); wenn man das Asylbewerberleistungsgesetz nicht kennt, wird man den Protest dagegen nicht verstehen ( ARBEITSPAPIEREuer Recht, das Schicksal der Asylbewerber unter euch zu kennen. C.8, Seite 335 ). Antirassistisch handeln heißt für uns aber nicht nur, gegen Rassismus zu kämpfen, sondern auch, sich solidarisch zu zeigen mit Menschen, deren Leben durch rassistische und diskriminierende Verhältnisse eingeschränkt wird. Durch die Beschäftigung mit dem Thema Migration wollen wir außerdem die Erfahrungen der migrantischen TeilnehmerInnen unserer Seminare einbeziehen. Wir stellen unterschiedliche Lebenssituationen von MigrantInnen und Flüchtlingen vor, thematisieren Hintergründe, Wege und Hindernisse für eine Einwanderung oder Flucht in die BRD und zeigen die Entwicklung der deutschen Asyl- und Migrationspolitik auf.

Was & Wie? Inhalte und Methoden

Das Kapitel ist unterteilt in die Schwerpunkte:

  1. Migration,
  2. Flucht und Fluchtgründe, Asyl in der BRD / EU,
  3. Deutsche als MigrantInnen und Flüchtlinge,
  4. Illegalität.

1. Schwerpunkt: Migration. Wir betrachten die deutsche Ausländergesetzgebung, welche die Einwanderung und den Aufenthalt von nicht-deutschen Menschen regelt, als strukturell diskriminierend. Und zwar deshalb, weil sie Menschen unterschiedliche Rechte zuerkennt und bestimmte Gruppen von fast allen Rechten ausschließt. Auch das Grundgesetz unterscheidet in Menschen- und Deutschenrechte: Dies reicht vom eingeschränkten Demonstrationsrecht bis zum Ausschluss von politischen Wahlen für Menschen ohne deutschen Pass. Wir wollen solidarische Handlungsmöglichkeiten entwickeln, die zu einer Verbesserung der Lebenssituation von MigrantInnen und zur Bekämpfung von Rassismus beitragen.

Wir wollen die Gründe, die Menschen zur Migration bewegen, thematisieren. Dabei beschränken wir uns nicht auf die Darstellung struktureller Gründe für Migration wie Armut oder Krieg, sondern nehmen auch die subjektiven, ganz persönlichen Gründe in den Blick. Flucht und Migration verstehen wir aus der Perspektive der MigrantInnen als aktives, aus Entscheidungen resultierendes Handeln. Wir kritisieren die Darstellung von MigrantInnen als unselbständige Opfer und Objekte! Aus diesem Grund halten wir „Selbstzeugnisse“, also von MigrantInnen selbst getätigte Aussagen zu ihrer Situation, für einen unersetzlichen Bestandteil von Bildungsmaterialien zum Thema Migration.

Wir begreifen deutsche Geschichte auch als Migrationsgeschichte: Migration nach, aber auch aus Deutschland heraus wollen wir in ihrer historischen Entwicklung mit ihren Brüchen und Kontinuitäten vorstellen. Wichtig ist uns dabei, nicht nur scheinbar objektive historische Fakten zu referieren, sondern auch die verschiedenen Perspektiven, Kämpfe und Enttäuschungen zum Thema zu machen.

Migrationserfahrungen gehören zu den Biographien der Teilnehmenden und Teamenden oft dazu. Die Würdigung oder Entdeckung der eigenen Migrationsgeschichte oder der Migrationsgeschichte von Verwandten oder Freunden und Freundinnen kann eine wichtige Erfahrung sein, die ein Seminar unterstützen kann. Sie kann Anknüpfungspunkte zu den Themen Flucht und Migration herstellen.

Gut gemeint – und doch verdreht: ArbeitsmigrantInnen als Opfer und Objekte

In der ersten Auflage des Bausteins stand unter der Überschrift „SaisonarbeiterInnen in der Bundesrepublik“ die Karikatur „Frische Arbeitskräfte“. Damit sollte illustriert werden, wie es „der Lobby der UnternehmerInnen immer wieder gelingt, ausländische ArbeitnehmerInnen über kurze Zeiträume in die Bundesrepublik zu holen“ und auszubeuten. Wie Heringe in der Dose liegen die Arbeiter-Figürchen in der Kiste und warten darauf, ausgewählt zu werden. Als Individuum erkennbar und aktiv ist auf dem Bild nur der „Kapitalist“ (der mit Specknacken und Melone aber auch äußerst stereotyp daherkommt), die SaisonarbeiterInnen sind nur als Masse ohne Individualität abgebildet. Aber als Hering kriegt mensch keine Arbeit auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt: Es braucht jede Menge Kraft, Verbindungen und Initiative, um eventuell eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten oder die Grenzen zu überwinden, um eine Arbeit zu finden, Löhne zu vereinbaren, das Leben im Ausland zu organisieren, sich verständigen zu lernen etc.. In diesem Bild verschwinden die lebendigen Menschen, die sich aus verschiedensten Gründen entscheiden, in der BRD zu arbeiten und aktiv ihre Lebensbedingungen zu verändern. MigrantInnen werden zu Opfern, die von Nicht-MigrantInnen bemitleidet, oder zu Objekten, die befreit werden müssen.

Grundlegende Informationen

Thematisches kennen lernen

Gründe für Flucht und Migration

Bedingungen von Flucht und Migration

Leben in Deutschland aus migrantischer Perspektive

2. Schwerpunkt: Flucht und Fluchtgründe, Asyl in der BRD / EU. Von Flucht sind Menschen betroffen – nicht Zahlen! Wir sind der Meinung, dass Fluchtursachen und nicht die Flüchtlinge das globale Problem sind. Fluchtmigrationen verweisen auf weltweit vorhandene politische und gesellschaftliche Probleme. Fluchtgründe lesen sich fast immer wie eine Liste von Verletzungen grundlegender Menschenrechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind – allerdings nicht weltweit eingehalten werden. Die Hauptziele der Flucht- und Migrationsbewegungen sind nicht die Industriestaaten des Nordens, sondern entgegen weit verbreiteter Meinung die Staaten Afrikas und Asiens. Galten bei uns in den 60er Jahren Länder im Süden als Regionen, die zu „entwickeln“ waren, so sind aus ihnen in der öffentlichen Debatte jetzt Regionen geworden, von denen Bedrohungen ausgehen - in Form von Menschen, die sich auf den Weg in den Norden machen.

Diese Vorstellung der „Gefahrenabwehr“ prägt auch die deutsche Asylgesetzgebung: Sie bietet vielen Flüchtlingen keine Möglichkeit, Schutz in Deutschland zu finden. Sie differenziert zwischen „echten“ und „Schein-Flüchtlingen“, wobei beide Definitionen von der jeweiligen politischen Situation abhängen. Schlagworte wie „Flüchtlingsströme“ oder „Asylantenflut“ müssen auf ihren Realitätsgehalt und auf ihre Funktion in politischen Debatten hin befragt werden.

Haben es Flüchtlinge nach Deutschland geschafft, so werden sie diskriminierenden Gesetzen unterworfen: Sie dürfen beispielsweise ihren Landkreis nicht ohne Genehmigung verlassen und ihre Gesundheitsversorgung ist auf die Behandlung von Notfällen und Schmerzzuständen beschränkt.

Hintergrundinformationen

Unter welchen Bedingungen fliehen Menschen

Europäisches Asylrecht

Bedingungen des Lebens von AsylbewerberInnen in Deutschland

3. Schwerpunkt: Deutsche als MigrantInnen und Flüchtlinge. Deutschland hat nicht nur eine Ein-, sondern auch eine Auswanderungsgeschichte. Die Gründe für eine Auswanderung haben sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Am Beispiel der Deutschen im Exil zur Zeit des Nationalsozialismus ist es möglich, Fluchtgründe in der deutschen Geschichte aufzuzeigen. Die deutschen Bauarbeiter arbeiten heute auf holländischen Baustellen, weil sie in Deutschland keine Arbeit finden und in Holland mehr verdienen. Beide Gründe, Flucht und Arbeitsmigration, sind ebenso Motive für Migration nach Deutschland. In diesem Teil wollen wir die Perspektive wechseln und die Migration von Deutschen in den Mittelpunkt stellen.

Einstieg

Aktuelles Beispiel Ostdeutschland

4. Schwerpunkt: Illegalität. Menschen leben aus unterschiedlichen Gründen illegal in Deutschland: Entweder sie sind schon illegal eingereist, weil sie keine legale Möglichkeit hatten; oder sie waren schon im Land, aber ihre Aufenthaltserlaubnis ist abgelaufen. Es ist wichtig, die Bedingungen des Lebens in der Illegalität kennen zu lernen. Die „Illegalen“ sind nicht das Problem, sie haben ein Problem! Und zwar in fast allen Situationen des täglichen Lebens, weil sie ständig versuchen müssen, unentdeckt zu bleiben und selbst Menschenrechte nicht oder nur mit größtem Risiko beanspruchen können. Illegal in Deutschland zu leben ist möglich, allerdings verdammt anstrengend! Wir gehen davon aus, dass es Illegalität so lange geben wird, wie MigrantInnen andere Zugangsmöglichkeiten nach Deutschland verwehrt werden. Wir halten „härteres Durchgreifen“ für unmenschlich und sinnlos.

Bedingungen des Lebens in der Illegalität

Übersicht
A
Idee, Hintergrund, Konzeption
B.1
Jetzt geht's los!
B.2
Erfahrungen
B.3
Gesellschaft begreifen
B.4
Tu was!
B.5
Wie die Zeit verging
B.6
Themenungebundene Methoden
C.1
Von Vor- und anderen Urteilen
C.2
Antisemitismus entgegentreten
C.3
Rassismus als gesell. Verhältnis
C.4
Rassismus und Sprache
C.5
Sicherheit und Gewalt
C.6
Rechte Bilderwelten
C.7
Nation und Nationalismus
C.8
Migration
C.9
Weltarbeit und Wirtschaftswelt
C.10
Diskriminierung
D
Literatur, Medien, Adressen
E
Register, Inhalt
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