Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
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Thema: Arbeit global
Weltarbeit und Wirtschaftswelt Ökonomie in der nicht-rassistischen Bildungsarbeit zum Thema machen Bildungsarbeit, die Ausgrenzung und Rassismus zum Thema macht, orientiert sich oft in erster Linie an den Begriffen der Toleranz, Pluralität und Interkulturalität. TeilnehmerInnen sollen in Seminaren lernen, die Perspektiven anderer zu übernehmen und deren Rechte zu achten, Konflikte gewaltfrei zu lösen und Vielfalt als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu empfinden. Der gesellschaftliche und ökonomische Zusammenhang, in dem Rassismus produziert und reproduziert wird, bleibt dabei oft unberücksichtigt. Die Knappheit von Arbeitsplätzen, der existentielle Wert von Erwerbsarbeit, die massive Konkurrenz, mit der sich die Menschen auf dem Arbeitsmarkt gegenüber stehen und nicht zuletzt die Bewertung von Menschen nach ihrer „Nützlichkeit“ bilden den Rahmen, in dem sich das populärste Fehlurteil, dass „AusländerInnen“ Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, überhaupt erst ausprägen kann. In vielen Seminaren wird dieses Argument damit entkräftet, dass nicht 2 % „AusländerInnen“ (im Osten) 19 % der Ostdeutschen den Job wegnehmen können. Das ist richtig und anschaulich, lässt aber die gesellschaftliche Realität unkritisiert, in der Menschen um ihre finanzielle Absicherung kämpfen müssen. In einem unserer Seminare hat ein Teilnehmer diese Logik schließlich so weit getrieben, dass er vorschlug, es sollten eben alle Menschen, die in Deutschland keinen Job hätten, auswandern. Rassistisches Denken basiert auf der Gruppenbildung und Hierarchisierung von Menschen. Ein solches Denken ist nahe liegend innerhalb einer Ökonomie, die an der Verwertbarkeit orientiert ist und Menschen als „Humankapital-Ressource“ begreift. Nützlich sind die, die effizient und leistungsfähig sind. Manche Ansätze in der interkulturellen Bildung reproduzieren ein solches Denkmuster, anstatt es kritisch zu hinterfragen. Unter dem Stichwort „Managing Diversity“ zeigt z.B. eine Broschüre der deutschen Kinder- und Jugendstiftung, wie bedeutsam interkulturelle „Schlüsselqualifikationen“ als „wichtiger Bestandteil beruflicher Qualifikation“ in der Konkurrenz einer globalisierten Wirtschaft sind. Damit wird Toleranz auf eine Sozialtechnik reduziert, die im Kampf um Karriere und maximale Nutzbarkeit des „Humankapitals“ verwertbar ist. Wer diese Schlüsselqualifikation nicht beherrscht, ist im Nachteil. Damit unterliegen die Anerkennung anderer, konstruktive Konfliktlösung und Antirassismus dem disziplinierenden Druck des persönlichen und beruflichen Erfolgs. Und das heißt vielfach nichts anderes, als maximale Kompetenzen zu erwerben, um die anderen auf dem Arbeitsmarkt auszustechen. Dies ist kein Klima, das gegenseitige Achtung, die Anerkennung gleicher Rechte und Sensibilität für Diskriminierungen fördert. Wir plädieren dafür, in den Seminaren die Bedingungen, unter denen Schule und Ausbildung stattfinden, die Arbeitsverhältnisse und weltweiten ökonomischen Strukturen zu reflektieren. Ziel einer nicht-rassistischen Bildungsarbeit darf nicht sein, die Probleme von Diskriminierung und Rassismus in das einzelne Subjekt hineinzuverlagern, gesamtgesellschaftliche Entstehungszusammenhänge und Handlungsmöglichkeiten aber auszublenden. Ziel muss es sein, die ökonomischen Rahmenbedingungen zu thematisieren, unter denen Ausgrenzung, Diskriminierung, Nationalismus und Rassismus entstehen können. Eine Rassismustheorie, die Rassismus einfach als „funktionales Element“, als kausale Folge kapitalistischer Wirtschaft ansieht, greift ebenfalls zu kurz und übersieht die vielfältigen sozialen, psychologischen und ökonomischen Bedingungen, unter denen sich rassistische Ideologien entwickeln und reproduzieren ( HINTERGRUND – Rassismus - Streit um die Ursachen. C.3, –CD ). Gleichwohl brachte und bringt die kapitalistische Produktionsweise Rassismus, Nationalismus und andere Ideologien der Ausgrenzung als praktische Ergebnisse immer wieder neu hervor. Rassismus und KapitalismusMit ökonomischer Logik kommen wir tagtäglich und in allen Bereichen unseres Lebens in Berührung. Wenn wir arbeiten, Geld ausgeben, einkaufen, unsere Freizeit verbringen, verreisen. Ökonomie ist natürlich auch der Abbau von Rohstoffen und die Produktion von Waren und Dienstleistungen. Sie findet lokal, regional, national und weltweit statt. Aber auch Lebensbereiche, bei denen das nicht so offensichtlich ist, werden fast unmerklich von einer ökonomischen Logik bestimmt. Wir sprechen davon, dass wir uns „gut verkaufen müssen“, dass sich etwas nicht „rentiert“; selbst Beziehungen unter PartnerInnen und Freunden bleiben nicht davon verschont, nach ihrem Wert für unser jeweiliges Leben befragt zu werden. Unsere Gesellschaft stützt sich auf die Grundwerte von Gerechtigkeit und der Gleichheit aller Menschen, produzierte und produziert aber tatsächlich massive Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Kolonialismus. Rassistische Ideologien kamen in Europa verstärkt während des Kolonialismus auf bzw. wurden entscheidend durch ihn geprägt. Mit Hilfe einer im 18. Jahrhundert erstarkenden biologistisch orientierten Naturwissenschaft wurde die Weltbevölkerung nach biologischen Kriterien hierarchisiert, „so dass bestimmte Gruppen für bestimmte Positionen in den Produktionsverhältnissen geeignet waren“ (Miles 1991, S. 138). Diese Konstruktion von „Rassen“ mit angeblich unterschiedlichen Eigenschaften diente als Legitimation, Menschen in den Kolonien als Arbeitskräfte auszubeuten (siehe auch kapitel c.3, kolonialismus). Ungleiche Weltwirtschaft. Auch aktuell haben die reichen Länder im Norden ein großes Interesse an billigen Arbeitskräften und Rohstoffen aus „Entwicklungs“-Ländern im Süden. Wir profitieren von billigem Kaffee, billigen Bananen, billigen Blumen (siehe AKTIVITÄT – Flower Label Programm. C.9, Seite 374 ). Unternehmen lassen anderswo billiger produzieren und umgehen damit Tarifverträge, Umwelt- und Arbeitsschutz und andere ArbeitnehmerInnenrechte, die den Menschen in ärmeren Ländern nicht in gleichem Maße zugestanden werden. Der Weltmarkt wird in internationalen Verträgen (siehe ARBEITSPAPIER – WTO, IWF und KKK, — RHP, USW, LMAA?. C.9, Seite 355 ) einseitig nach den Interessen der reichen Industrieländer ausgerichtet. Somit setzen sich Weltwirtschaftsstrukturen, die ihre Wurzeln im Kolonialismus haben, in modernisierter Form fort. Die Macht der Märkte wirkt global, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise. Das bedeutet aber, dass eine Analyse immer die globale Perspektive mit betrachten muss, um sie in lokale Handlungsmöglichkeiten zu übersetzen. Menschen als Ware. Konkurrenz und die daraus entstehende gesellschaftliche Hierarchie sind notwendige Voraussetzungen der Marktwirtschaft. Menschen treten auf dem Arbeitsmarkt als „Waren“ miteinander in Konkurrenz und Austausch, anstatt ihre Bedürfnisse zu formulieren und kooperativ und solidarisch auszuhandeln. Gesellschaftliche Hierarchien und Warenförmigkeit der Menschen sind Grundlagen für einen rassistischen Diskurs, in dem Menschen ein höherer oder geringerer Wert zugesprochen wird. Arbeitsmarkt. Im Inland finden wir einen Arbeitsmarkt vor, in dem MigrantInnen überproportional in schlecht bezahlten Berufen mit schlechten Arbeitsbedingungen arbeiten – und noch dazu geringere Löhne erhalten als deutsche ArbeitnehmerInnen gleichen Geschlechts. Die Tatsache, dass zwar in Reinigungsberufen, in der Gastronomie und der Textilproduktion 20 – 30 % der Beschäftigten keinen deutschen Pass haben, aber nur rund 2 % der Bank- und Versicherungskaufleute, prägt entscheidend die Wahrnehmung von MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft (siehe ARBEITSPAPIER – Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt?. C.9, –CD ). Die Ursachen sind bereits in der Arbeitsmarktaufteilung zu suchen, wie sie in Deutschland in den 50er und 60er Jahren vorherrschte (vgl. Miles 1991, S. 162). Damals sollten MigrantInnen vorwiegend den Arbeitskräftemangel in bestimmten Branchen ausgleichen und wurden zu diesem Zwecke angeworben. Noch heute haben außereuropäische MigrantInnen vor allem Zugang zu Arbeitsplätzen, für die keine EU-BürgerInnen zur Verfügung stehen. Die Unternehmen profitieren davon, weil die MigrantInnen meist zu schlechteren Bedingungen arbeiten; die Mehrheitsgesellschaft profitiert ebenfalls davon, weil sie in der Hierarchie des Arbeitsmarktes aufsteigt. Rassismus ist eine Möglichkeit, solche Ungleichheiten zu „legitimieren“. Rassistische und nationalistische Ideologien haben auch die Funktion, erlebte Widersprüche zu erklären. Wer AusländerInnen zu Sündenböcken für die Probleme in der Arbeitswelt macht, beraubt sich aber zugleich der eigenen Handlungsmöglichkeiten, da die wirklichen Ursachen der Widersprüche aus dem Blick geraten und sich an der Situation nichts ändert (siehe Holzkamp-Osterkamp 1996). Rassismus als „Standortnachteil“. In den letzten 400 Jahren war eine durch Rassismus ideologisch untermauerte Ausbeutung und Ausgrenzung immer Bestandteil des Kapitalismus – vom Kolonialismus über den Nationalsozialismus bis zur Gegenwart. Rassismus kann sich allerdings auch gegen wirtschaftliche Interessen richten, weil er in einer global agierenden Ökonomie zum „Standortnachteil“ zu werden droht. Der „Aufstand der Anständigen“, mit dem Ende der 1990er Jahre in Deutschland gegen Fremdenfeindlichkeit protestiert wurde, war auch von solchen Überlegungen gespeist. Thema des „Aufstands der Anständigen“ waren die rechtsextremen und rassistischen Angriffe, aber nicht die Arbeitsbedingungen für viele MigrantInnen „ganz unten“. Multinational agierende Unternehmen sind an der Toleranz und an der Fähigkeit zum „Diversity Management“ ihrer MitarbeiterInnen interessiert. Diese Entwicklung hat für einige MigrantInnen unbestritten zu praktischen Verbesserungen geführt. Unternehmen haben ein Interesse an einem weniger restriktiven Einwanderungsrecht, einige MigrantInnen haben als Menschen mit „interkultureller Kompetenz“ in manchen Bereichen bessere Arbeitsplatzchancen etc. Zugleich wird damit aber eine Hierarchisierung fortgeschrieben und in gewisser Weise perfektioniert: Es wird nun zwischen „nützlichen“ und „weniger nützlichen AusländerInnen“ unterschieden. Wer „nur“ Flüchtling ist und dem Arbeitsmarkt nicht dienlich sein kann, hat keine Aussichten auf Anerkennung und muss um seinen / ihren Aufenthalt bangen. Der ständige Bezug auf Nation und Standort ist funktional für die Vernebelung von Gegensätzen und Widersprüchen. Die Nation wird als fiktive Gemeinschaft mit scheinbar gleichen Interessen hergestellt, die über tatsächlich unterschiedliche Interessen innerhalb der Gesellschaft hinwegtäuscht. Schließlich geht es um Deutschland, um das große Ganze. Wir sitzen alle in einem Boot, heißt es dann ( HINTERGRUND – Kein schöner Land. C.7, Seite 286 ). Da muss eben der Gürtel enger geschnallt werden, müssen Löhne und Sozialleistungen gesenkt werden, um der deutschen Gemeinschaft aus der Misere zu helfen. Die Gleichheit aller Menschen. Unsere Gesellschaft baut auf den Grundsätzen der allgemeinen Menschenrechte und der Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen auf. Eine Grundlage für kapitalistisches Wirtschaften ist der freie Markt, auf dem die Menschen, die nicht über Produktionsmittel verfügen, ihre Arbeitskraft verkaufen können, aber auch müssen. Die Menschen sind im doppelten Sinne frei: frei zur Arbeit, aber auch frei von den Möglichkeiten, ohne Lohnarbeit das Leben zu gestalten. Dies erfordert ein Mindestmaß an bürgerlichen Freiheitsrechten und ist z.B. nicht mit feudaler Leibeigenschaft vereinbar. Die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise hatte also durchaus einen emanzipatorischen Wert. Auch in den letzten Jahren – dies ist ein häufig zu hörendes Argument – hat sich die Situation der Menschenrechte mit dem Siegeszug des Kapitalismus in vielen Ländern verbessert. Dies bestärkt viele in der Annahme, dass nur die kapitalistische Marktwirtschaft in der Lage wäre, Menschenrechte zu garantieren. Diese Annahme ist aber nur sehr begrenzt gültig, denn Marktwirtschaft gibt es auch in Militärdiktaturen, in politisch fast rechtsfreien Sonderwirtschaftszonen oder selbst im politisch realsozialistisch verfassten China. Tatsächlich konnte der Anspruch der Gleichheit, der mit der Aufklärung einherging, nie eingelöst werden. Die feudale Ständegesellschaft wurde durch eine Klassengesellschaft mit enormen sozialen Ungerechtigkeiten ersetzt. Auch galten die bürgerlichen Freiheitsrechte nie für alle gleichermaßen. Immer waren bestimmte Gruppen ausgeschlossen. Frauen hatten bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein kein Wahlrecht; Flüchtlingen werden aktuell fundamentale Grundrechte (Recht auf Freizügigkeit, Recht auf Bildung, Recht auf freie Berufswahl etc.) versagt. Unter kapitalistischen Bedingungen wurden schlimmste Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen verübt. Trotzdem bleiben der Gleichheitsanspruch und das Gleichheitsversprechen der Aufklärung als normative Grundlage aller demokratisch verfassten Staaten ein wichtiger Bezugspunkt für eine nicht-rassistische (Bildungs-)Arbeit. An ihnen müssen sich die tatsächlichen Verhältnisse messen und kritisieren lassen. Zwänge und Handlungsmöglichkeiten. Das Feindbild der „bösen Kapitalisten“ erklärt die Verhältnisse ebenso wenig wie das der „Ausländer“. Es versperrt den Blick und trägt mehr zur Beschränkung von Handlungsmöglichkeiten bei als zu ihrer Erweiterung. Marktwirtschaft oder Kapitalismus existiert nicht deswegen, weil es unmoralische Menschen gibt, die andere ausbeuten. Es ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in das (fast) alle Menschen integriert sind. Sowohl UnternehmerInnen als auch Lohnabhängige unterliegen den Zwängen des Marktes, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Möglichkeiten. Die einen, weil sie bei Strafe des Untergangs gezwungen sind, so billig wie möglich zu produzieren, die anderen, weil sie gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen – und sich damit ständig in gegenseitiger Konkurrenz zueinander befinden (siehe auch PLANUNGSHILFE – Gesellschaftsanalyse großschreiben!. B.3, Seite 51 ). Weder UnternehmerInnen noch ArbeitnehmerInnen sind jedoch den (Markt-) Verhältnissen nur ausgeliefert. Kollektives Handeln von beiden Seiten hat dazu geführt, dass der Kapitalismus stark reguliert ist. ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen haben sich beispielsweise zu Verbänden zusammengeschlossen, um durch Tarifverträge die Konkurrenz zu zähmen. In der Bildungsarbeit ist es uns wichtig zu vermitteln, dass sich alle Akteure nicht nur in den Verhältnissen, sondern auch zu den Verhältnissen verhalten. Wir wollen das historische Wissen über die Veränderbarkeit der Verhältnisse stärken und die Einsicht, dass ich kollektiv die Bedingungen mitgestalten kann, in denen ich mich individuell verhalten muss. Zur Arbeit mit dem Teil „Weltarbeit und Wirtschaftswelt“Wir beschäftigen uns mit dem Verhältnis von Ökonomie und Rassismus in zwei Themenbereichen: Globalisierung und Weltwirtschaft sowie Arbeit und Arbeitswelt. Für beide Teile gibt es eine extra Planungshilfe. In ihr sind detaillierte Ziele sowie die Aktivitäten und Arbeitspapiere beschrieben. Im ersten Themenbereich geht es um Weltwirtschaft und Globalisierung, um die Strukturen einer „globalisierten“ Wirtschaft, um ungleiche Reichtumsverteilung weltweit und um global hierarchisierte Produktionsverhältnisse. Der zweite Themenbereich setzt an den Arbeitsverhältnissen in den Industrieländern an und beinhaltet Materialien zu Arbeit und Arbeitslosigkeit, Sozialstaat und Diskriminierung von MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt. Literatur:
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Download: C9-WeltarbeitWirtschaftwelt.pdf |